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Vogelweide: Roman (German Edition)

Vogelweide: Roman (German Edition)

Titel: Vogelweide: Roman (German Edition)
Autoren: Uwe Timm
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etwas arg durchgeschüttelt, aber lange stehenlassen können wir ihn ja nicht.
    Er las das Etikett: Rabenkopf.
    Das ist unser poetisches Verhältnis zur Welt. Und das muss seine Sprache finden.
    Was?
    Der Wein. Der hat seine Sprache. Komm, mein Beachcomber.

    Sie sagte es so wie damals: Komm, mein kleiner Mohikaner, dachte er, als er unter dem Drahtzaun durchgekrochen war, ihrem Lachen und ihrer Entschiedenheit entgegen. Hic Rhodus, hic salta, hatte sie, die Lateinlehrerin, gesagt.
    Das war so weit weg, als sei es eine Erinnerung an eine Filmszene. Unvorstellbar, das nochmals anzusprechen. Zu fragen, ob es ihr gut getan hatte, damals, dieses eine Mal, in dem es aus Rache, aus Wut geschehen war. Sie war es, die trotz eines nicht so weit entfernt vorbeilaufenden Joggers gesagt hatte, los, jetzt komm. Vielleicht hätte er sie abhalten sollen. Aber das wäre ernsthaft nur aus der Zukunft zu denken gewesen. Also gar nicht.
    Die Mücken, hatte er gesagt.
    Na und?

    Was lachst du?
    Nur so.
    Sag schon.
    Das sind Bilder, du kennst es, die einem durch den Kopf ziehen, und jeder Versuch, sie zu beschreiben, würde sie ganz unansehnlich und grau erscheinen lassen. Sie sollen in ihrem Reich bleiben, dem, wohin die Sprache nicht reicht.
    Komm. Lass uns schon mal anstoßen.

    Der Wind drückte jetzt hin und wieder mit Macht den Regen gegen die nach Norden weisende Wand, und jedes Mal flackerte die Kerze, obwohl doch in diesem technisch soliden Wohncontainer alles gut abgedichtet war.

    Sie hatte ihm ja schon auf der Düne gesagt, dass sie in einer festen Beziehung lebe. Seit drei Jahren seien sie zusammen. Sie wohnten aber nicht zusammen. Es ist die schöne Distanz, die uns verbindet. Sie wohne in einem Haus, nicht sehr groß, aber mit Blick auf den Pazifik.
    Sie hätte auch sagen können, ich bin nicht gekommen, um an etwas Früheres anzuknüpfen. Ich bin gekommen, um zu reden, oder, wie er vermutete, um etwas zu klären, was damals abrupt und ohne viel Worte geschehen war.

    Er suchte in einem mit Großbuchstaben bedruckten Pappkasten, hob kleine Zettelkästen heraus, blätterte und zog eine Karteikarte hervor. Hier, sagte er und las vor: Die Männchen kämpfen bis zum Äußersten um den Besitz des Weibchens, und dieser Kampf ist so gewalttätig, dass sie dabei oft zu Boden fallen. Es gibt wenige Vögel, die so hitzig und so leistungsfähig in der Liebe sind. Man sieht sie sich bis zu zwanzigmal in Folge paaren, immer mit demselben Eifer, denselben Erschütterungen, denselben Ausdrücken der Lust; eigenartig ist, dass das Weibchen als erstes die Geduld zu verlieren scheint bei einem Spiel, das sie offenbar weniger ermüdet als das Männchen, das ihr aber auch viel weniger gefallen dürfte, da es keinerlei Vorspiel gibt, keinerlei Zärtlichkeiten, keinerlei Variation der Sache selbst; viel Ungestüm ohne Zartheit, stets hastige Bewegungen, die nur von dem Bedürfnis an sich zeugen; man vergleiche das Liebesspiel der Taube mit dem der Sperlinge, und man wird darin all die feinen Unterschiede zwischen rein körperlichem und sittlichem Verhalten finden.
    Sie lachte und sagte, sehr schön, das Zitat musst du mir schenken. Von wem ist das?
    Buffon, Histoire naturelle des oiseaux , 1775.
    Gut. Ich will eine Ausstellung mit erotischen Motiven vorbereiten, das passt wunderbar in den Katalog.
    Und dein Favorit: Taube oder Sperling?
    Die Tauben fand ich, sagte sie, schon immer grässlich, dieses Drehen und Wenden, wenn sie balzen, diese ruckartigen Kopfbewegungen, das Gespreize, dieses blöde kopfnickende Schreiten, unerträglich. Der Spatz wäre mir der rechte Verehrer. Ich habe immer für Freibeuter geschwärmt.
    Einen Moment lang überlegte er, ob sie Ewald einmal so gesehen hatte, oder nicht doch eher das von der Biopsychologie gefeierte Männchen, verlässlich, treu und der sichere Brutschützer samt Futterbeschaffung. Um sich selbst dann, so vermessen war er schon, als Freibeuter zu sehen, auch wenn er gestrandet war.

    Dein Pazifik würde erbleichen, wäre der Himmel jetzt wolkenlos. Die Sterne sind so überraschend nah. Du siehst die ferne Lichterkette der Küste. Das Licht des Leuchtturms von Helgoland und von der Insel Neuwerk, so als schneide der Strahl Bahnen in die Dunkelheit, eine Verbindung zum Großen Wagen dort oben, zum Nordstern. Und du siehst in der Ferne die Lichter der Schiffe. An klaren Tagen weißt du, warum das Licht die Konstante sein muss, an der alles Relative gemessen wird.
    Ach, sagte sie, der Regen, dieser
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