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Vogelweide: Roman (German Edition)

Vogelweide: Roman (German Edition)

Titel: Vogelweide: Roman (German Edition)
Autoren: Uwe Timm
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F.?
    Betriebsgeheimnis, nein, natürlich nicht, aber du kennst ihn nicht.
    F. geht am Abend mit Freunden in eine Bar, trinkt, es ist Sommer, ein Glas Weißwein. Ihm gegenüber sitzt eine Frau in einem roten Kleid. Das Rot, diese Signalfarbe, lenkt seinen Blick auf die Frau. Er sieht die Frau nur von hinten, die Haare hochgesteckt, mittelblond, den Hals, eine Kette aus kleinen Goldkugeln. Das fiel F. auf, wie er sagt, weil er seiner Frau eine ähnliche geschenkt hatte, auch der Hals, der dem seiner Frau ähnlich sah.
    Ein Serientäter, sagte sie und lachte.
    Lach nicht, lies weiter.
    Ein figurbetontes Kleid, so der Ausdruck von F. , und auf Nachfrage, kniefrei.
    Sonderbar, welche Begriffe im Kopf eines Elektronikmanagers abgerufen werden können. Denkt man doch eher an einen Verkäufer für Damenbekleidung.
    Inzwischen ist er, sagt F. von sich selbst, dermaßen abgelenkt, dass die Freunde ihn fragen, was denn los sei.
    In dem Moment steht die Frau im roten Kleid auf und mit ihr auch ihre Nachbarin, eine junge, recht füllige, nein, rundliche Frau. Die beiden Frauen gehen an F.s Tisch vorbei, wobei die Frau im roten Kleid, auf ihn zukommend, ihn unverwandt anblickt, aber, wie er sagt, neutral, kein Lächeln, kein Aufmerken im Gesicht zeigt, sie streift ihn mit dem Arm, sagt Entschuldigung und sieht ihn an. Sehr blaue, F. sagt, gletscherblaue Augen.
    F.s Bericht fällt durch die Wahl von recht ungewöhnlichen Adjektiven auf. Die beiden Frauen gehen Richtung Ausgang und hinaus. Einen Moment hat F. gezögert, dann ist er aufgestanden und ihr gefolgt.
    Der Augenblick, als er sie kommen sah, fragte Anna, soll schon in dem Blick das Hypnotische liegen? Ist das nicht die Situation, die uns durch Bilder steuert, die uns schon vorher begleitet haben, beim Gang durch die Stadt, in Fernsehen und Film, in den Zeitschriften? Dein Proband könnte doch eben einen Reklamefilm gesehen haben, für Haarfestiger, Sekt, Zigaretten. Allein das rote Kleid. Hätte er sie wahrgenommen, wenn sie ein graues oder braunes Kleid angehabt hätte?
    Nein, warte, sagte er, er geht weiter, ich erzähle die Kurzfassung. Dieser Mann, F., geht raus, stellt sich neben die rotgewandete Frau, deren warmen Körper er eben mehr geahnt als flüchtig gespürt hat, und sieht ihre Freundin, ich, sagte er, habe sie später gesehen, einfach und etwas gemein gesagt, sie ist dick, rundlich, so ein verschmitztes Lachen in den, ja, Backen, muss man sagen, Wangen wäre falsch. Sie sehen sich an, reden miteinander, verabreden sich, das alles bei einer Zigarettenlänge, er geht wieder hinein, sie geht mit der Roten wieder hinein, vier Monate später lässt sich F. scheiden, enorme Kosten, Auszug aus dem Haus, Trennung von einer Frau, die so aussieht, wie du vermutet hast, schlank, elegant, das, was die Partnerschaftsvermittlungen als attraktive Vorzeigefrau annoncieren. Einzug bei der, fast hätte ich gesagt, Dicken. Ich habe ihn gefragt. Was war das? Und er sagte, der Blick, das Lachen, ich wusste, ich bin bei ihr der, der ich bin, keine Reckaufschwünge zur Selbstdarstellung, Ruhe, bei sich sein, ich habe vier Kilo zugenommen, bei ihr sein, kluge, freundliche Zuwendung, Fragen und keine Meinungen. Eine Frau, die sich mit Meinungen zurückhält, zuhört und dann diese klugen, witzigen Einschätzungen, ach, sagte er, wir reden, und ich sehe die Welt neu. Ja, er schwärmte.
    Und, fragte sie, das alles beim ersten Blick?
    Nein, später, nach ein, zwei Treffen, natürlich Rede und Gegenrede. Aber immerhin der Anfang, diese Ahnung. Das interessiert mich.
    Zuletzt, als ich ihn traf, zufällig, lebte er, durch die Scheidung geknebelt, mit der Frau und einem Kleinkind zusammen in einer Dreizimmerwohnung, also eine Schrumpfung, ich würde sagen um fünfzig Prozent.
    Bei vier Jahren kann man nicht von der typischen Verfallszeit sprechen. Der Mann machte jedenfalls einen zufriedenen Eindruck.
    Eschenbach hatte gut Butter in die Pfanne gegeben, und jetzt, da sie goldbraun wurde, legte er die Schollen hinein, und der Geruch des bratenden Fischs überdeckte den Duft, den sie an sich trug.
    Wie merkwürdig, dachte er, nur zweimal haben wir für uns, das heißt für uns vier gekocht, einmal ich, das Rinderherz, und einmal sie einen Kalbsbraten. Jede erdenkliche Nähe hatten wir, aber nicht die des Alltags. Die Gelassenheit des Zusammenlebens haben wir nicht erfahren. Das Vertrauen in den nächsten erwartbaren Griff, den Geruch, den Geschmack. Die Sätze, die das begleiten und uns Halt
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