Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Vogelweide: Roman (German Edition)

Vogelweide: Roman (German Edition)

Titel: Vogelweide: Roman (German Edition)
Autoren: Uwe Timm
Vom Netzwerk:
Beschreibungen, und dafür bekommst du als Bestechungsangebot einen Flug samt Hotel nach New York. Etwas Feines.

    Warum hast du dich nicht gemeldet?
    Wollte ich, aber du warst damals schon nach Kalifornien weitergezogen.

    Er sah ihr an, dass sie, als sie die Schutzhütte betrat und sich umsah, enttäuscht war. Das Innere der Hütte machte offensichtlich nicht den von ihr erwarteten Eindruck, nichts, das Abenteuer versprach, Schiffbruch und Rettung, aus Brettern genagelte Borde, verbeultes Blechgeschirr, Blechtöpfe, selbst geschnitzte Löffel, Fundstücke.
    Sie sagte dann auch, das sieht ziemlich nüchtern aus.
    Findest du?
    Ja.
    Ein Ofen. Der Strom von den Solarzellen erzeugt, wenn die Sonne denn schien. Auf dem Tisch ein Laptop, der in jedem Großraumbüro hätte stehen können.
    Solarbetrieben.
    Sie warf einen Blick in die eine der drei kleinen Kammern, auf das schmale Bett. Und als er bemerkte, wie sie das Bett musterte, sagte er: Dort schläfst du.
    Für zwei ist es ziemlich schmal, sagte sie.
    Ich schlafe nebenan.

    Es gab eine Zeit, dachte er, da haben wir auf solchen Betten geschlafen, immerhin achtzig Zentimeter. Zwei dieser Betten waren zusammengestellt, mit einer Ritze, die sich bei stärkeren Bewegungen zu einem lustfeindlichen Abgrund weitete. So lagen sie in nur einem Bett. Er hatte das Bild vor Augen, wie er mit ihr an die Ostsee gefahren war, in dem roten Saab. Nicht nach Venedig, wohin sie beide hätten fahren wollen, wären sie denn frei gewesen.
    Und jedes Erwachen in der Nacht war eine Freude gewesen, ein stilles, nächtliches, lang andauerndes Gespräch, in dem geredet, geschwiegen und geliebt wurde. Es war das Geheimnis des Spiels: Wir sind in Venedig, wohin gehen wir? San Marco oder die Insel San Michele? Lieber San Michele, die Gräber von Pound und Brodsky besuchen. Brodsky einen Kugelschreiber mitbringen und auf dem Grab ablegen. Die Marmeladendose hatte Eschenbach bei einem Besuch gesehen, eine Dose voller Kugelschreiber. Eine Werft besuchen, auf der Gondeln gebaut werden. Die Lieblingsbilder? Ihres Mariä Himmelfahrt von Tizian, in der Santa Maria Gloriosa dei Frari, seines der Heilige Hieronymus mit Löwen von Carpaccio in der Scuola di San Giorgio degli Schiavoni. Es waren Fragen nach dem, was man schon gesehen und gelesen hatte. Aber auch das: der erste Kuss. Wo und wann? Das erste Zusammensein mit einem Mann, einer Frau. Wo und wann? Der wichtigste Film in den letzten drei Jahren, welches Tier, gäbe es denn eine Seelenwanderung, er werden möchte? Gar nicht so leicht, hm, wahrscheinlich ein Delphin. Und sie? Drossel. Und tatsächlich sang sie. Sie war die einzige Frau, mit der er zusammengewesen war, die morgens im Bad sang, erst ein melodisches Summen, das dann unter der Dusche zum Gesang wurde, um beim Schminken wieder zum Summen zu werden. Und wieder eine Frage und ein Suchen in der Vergangenheit. Ein Schweigen. Ihr Atemzug. Ein treffliches Wort, wenn er daran dachte, wie sie dalag und tief atmete. Sie schlief schnell ein. Plötzlich antwortete sie nicht mehr. Er lag und lauschte ihrem Leben. Sie aber wachte nachts auf und gewöhnte sich an, ihn, lag er denn auf der Seite mit dem Rücken zu ihr, durch ein zartes Kratzen zu wecken, damit er sich umdrehe und sie ihn auf sich ziehen könne.

    Sie stieg aus den Gummistiefeln und zog ihren Kaschmirmantel, den sie zunächst noch anbehalten hatte, aus. Er sah unter dem schwarzen Pullover ihre Brüste, sah, obwohl er weit geschnitten war, dass sie zugenommen hatte, an den Hüften und auch an den Schenkeln. Sie zog aus ihrer Reisetasche die Mokassins heraus und streifte sie über. Vor fünf Tagen sei sie nach Berlin gekommen. Ursprünglich habe sie eine Reise nach Wien, London, Berlin und Leipzig vorgesehen, Städte, in denen die Maler lebten, die sie in ihrer Galerie ausstellte. Aber dann sei etwas dazwischengekommen. Und wieder schwieg sie, und Eschenbach wusste nicht recht, ob er nach der Art des Dazwischenkommens fragen sollte.
    Ich habe nicht gedacht, dass du so geschäftstüchtig bist.
    Sie lachte. Ich auch nicht. Es ist eine Folge, sie stockte, von uns.

    Was sie sichtlich mit dieser nüchternen Einrichtung ein wenig versöhnte, waren die Flaschen, die in der Ecke standen, in Form und Größe unterschiedliche Flaschen, Selters- und Saftflaschen, aber auch Plastikflaschen, Flaschen mit Korken und Drehverschlüssen, große und kleine. Einige mit einem krustigen Grüngrau, der Ablagerung von Salz und Algen, bedeckt, andere zeigten
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher