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Vogel-Scheuche

Titel: Vogel-Scheuche
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ist nämlich ihr Talent«, erläuterte Wira. »Sie kann alles herbeir u fen, was mit Pferden verwandt ist, bis auf Einhörner.«
    »Warum denn keine Einhörner?« wollte Mentia wissen.
    »Die konnte sie auch mal rufen, aber als sie in die Hölle fuhr und Humfrey heiratete, verlor sie dabei ihre Unschuld.« Wira errötete, weil es als unschicklich galt, offen über Angelegenheiten zu sprechen, die von der Erwachsenenverschwörung abgedeckt wurden. Schließlich könnte ja ein Kind in der Nähe sein. »Deshalb ignorieren die sie jetzt. Das ist alles sehr traurig.«
    Dafür brachte Mentia wenig Verständnis auf. »Meine bessere Hälfte hat sich nie um Unschuld gesorgt, bis sie eine halbe Seele bekam. Die kommt auch an kein Einhorn heran. Also, dann ruf eben ein Pferd, das den Weg kennt.«
    MähreAnn führte sie aus dem Schloß und über den Graben, der plöt z lich wieder ganz normal aussah. Sie stellte sich an den Rand eines g e wöhnlichen Feldes, genau an der Stelle, wo sich zuvor noch der Zucke r hut befunden hatte. Schon galoppierten eine Reihe von Wesen über die Ebene.
    Mentia sah genauer hin. Es waren vier Kreaturen, und jede besaß nur ein Bein. Zwei hatten schmale Köpfe, zwei andere dünne Schweife. Ihre einzelnen Hufe donnerten in unregelmäßiger Folge auf den Boden und wühlten Staubwolken auf, die hinter ihnen davonzogen. »Was ist das denn?«
    »Viertelpferde, natürlich«, erwiderte MähreAnn. Und dann, an die Pferde gewandt: »Brr!«
    Stampfend blieben die vier vor ihr stehen. Jedes Viertel trug an der Se i te eine silberne Scheibe mit gerippten Kanten. Auf den beiden Vorde r scheiben waren Köpfe eingraviert, auf den beiden hinteren große Vögel mit halb ausgebreiteten Schwingen.
    »Nehmt Haltung an«, befahl MähreAnn.
    Die vier Kreaturen klappten gegeneinander und erwiesen sich plötzlich als vier Viertel eines gewöhnlichen Pferdes, das nun vollständig war. Wira trat auf den Hengst zu, und er stupste gegen ihre Hand, bis sie einen Zuckerklumpen hervorholte. »Schade, daß du auf Acht Bits nicht reiten kannst«, bemerkte Wira.
    »Ist das sein Name?« fragte Mentia. Sie war ja selbst ein bißchen ve r rückt, aber das hier übertraf sie noch bei weitem. »Warum nicht?«
    »Weil er fremden Erwachsenen nicht traut. Dann fällt er auseinander und verteilt sich in alle vier Himmelsrichtungen. Aber er kennt immerhin den Weg, also kannst du ihm folgen.«
    »Vielleicht kann er uns ja einfach sagen, wo wir hingehen sollen, dann tun wir das schon allein«, schlug Mentia vor.
    »Nein, er kann nicht sprechen«, widersprach MähreAnn. »Er versteht zwar klare Anweisungen, aber das ist auch schon alles. Alles andere wü r de ihn überfordern, und…«
    »… dann fällt er auseinander«, beendete Mentia den Satz für sie und fand sich schon mit der Aussicht auf eine langweilige Reise ab.
    Doch da drang Metria wieder an die Oberfläche. »Nein, es gibt noch eine bessere Möglichkeit. Wie steht Acht Bits denn zu Kindern?«
    »Oh, Kinder mag er«, erwiderte MähreAnn. »Vor allem dann, wenn sie nur ein Viertel so groß wie ein Erwachsener sind. Aber…«
    Metria löste sich in Rauch auf und nahm die Form des allersüßesten, lieblichsten Kindleins an, das man je gesehen hatte. Selbst Wira reagierte überrascht, als sie feststellte, daß irgend etwas anders war. »Mentia und Metria kenne ich ja, aber wer bist du denn?«
    »Ich bin Gnade Uns«, erwiderte das kleine Ding. »Ich habe eine Vie r telseele – die Hälfte von Metrias –, und ich liebe Pferde. Und wenn ich auf diesem hier nicht reiten darf, dann werde ich so furchtbar traurig, daß ich mich in schrecklichstem Selbstmitleid auflösen werde.« Sie wischte sich eine riesige, glitzernde Träne mit dem süßen Ärmelchen ab.
    MähreAnn tauschte einen halben Blick mit Wira aus, weil das ja eine Einbahnstraße war – die blinde junge Frau konnte ihn schließlich nicht erwidern. »Vielleicht«, stimmte sie zu. Sie hob das kleine Mädchen auf das viergeteilte Pferd.
    »Ach, das macht Spaß!« rief Gnade Uns und klatschte mit den süßen kleinen Händen. »Laß uns loslaufen.«
    Doch Wira war alles andere als beruhigt. »Wir sollten so ein kleines Kind nicht allein auf eine so weite Reise schicken«, warf sie ein.
    »Ich bin doch in Wirklichkeit gar kein…«, fing das kleine Ding an, doch dann fuhr ihr anderes Selbst ihr über den Mund, bevor der Hengst den Rest des Satzes mitbekommen konnte.
    MähreAnn nickte. »Vielleicht finden wir für sie noch eine
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