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Vittorio

Vittorio

Titel: Vittorio
Autoren: Anne Rice
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aufrechtzuerhalten; wenn er jedoch geschäftlich nach Florenz reiste, machte er stets Besuche bei Cosimo de' Medici.
    Was jedoch seinen Sohn betraf, so wollte er ihn zu einem Fürsten erziehen lassen, einem großen Herrn, einem Ritter, und ich musste alle ritterlichen Tugenden und Fähigkeiten erlernen, so dass ich schon mit Dreizehn, in voller Rüstung, den helmbedeckten Kopf gebeugt, mit dem Speer in der Hand zu Pferde gegen das mit Stroh ge-stopfte Ziel anrannte. Das konnte ich mühelos. Es machte mir ebenso viel Spaß wie Jagen oder in den Gebirgsbächen zu schwimmen oder wie die Pferderennen mit den Dorfjungen.
    Allerdings lebten sozusagen zwei Seelen in meiner Brust.
    Mein Geist war in Florenz genährt worden, hervorragende Lehrer hatten mich Latein, Griechisch, Philosophie und Theologie gelehrt, und an den Mysterienspielen der Knaben und den Schauspielen, die die Stadt ausrichtete, hatte ich nur zu gern teilgenommen. Oft hatte ich Haupt-rollen in den Stücken gehabt, die von meiner eigenen Bruderschaft im Haus meines Onkels aufgeführt wurden, und ich konnte nicht nur den Isaak aus der Bibel darstellen, der gerade von dem gehorsamen Abraham geopfert werden soll, sondern auch den entzückenden Engel Gabriel, der von dem misstrauischen Josef bei Maria gefunden wird.
    Manchmal sehnte ich mich nach alldem, nach den Bü-
    chern, den Predigten in der Kathedrale, denen ich immer mit tiefem Interesse gelauscht hatte, und den herrlichen Abenden im Haus meines Onkels, wenn ich bei den Klängen spektakulärer Opernaufführungen eingeschlafen war, den Kopf voll bis oben hin mit blendenden, wunder-samen Gestalten, die, von Drähten gehalten, her-niedersausten; dazu spielten wild die Trommeln und Lauten, Tänzer hüpften fröhlich, fast wie Akrobaten, und die Stimmen der Sänger vereinten sich in harmonischem Gleichklang.
    Ich hatte eine schöne Kindheit. Und in der Bruderschaft der Knaben, zu der ich gehörte, traf ich auch ärmere florentinische Kinder, Söhne von Kaufleuten, Waisen und Knaben aus den Klöstern und Schulen der Stadt, denn so hielt man es zu meiner Zeit beim Landadel. Man musste sich unter das Volk mischen.
    Ich glaube, als Knabe schlich ich mich sehr oft aus dem Haus, und zwar mit derselben Leichtigkeit, mit der es mir später gelang, aus der Burg zu schlüpfen. Ein diszipli-niertes Kind könnte sich nicht an so viele Feste und Hei-ligengedenktage und Prozessionen erinnern, wie ich sie in Bezug auf Florenz im Gedächtnis habe. Allzu oft glitt ich durch die Menge, begaffte die zu Ehren der Heiligen aufwendig geschmückten Festwagen und bewunderte die feierliche Haltung derer, die in schweigenden Reihen mit Kerzen in den Händen gemessen dahinschritten, als wä-
    ren sie in anbetende Trance versunken.
    Ich muss ein rechter Spitzbube gewesen sein. Bestimmt.
    Ich machte mich durch den Küchenausgang davon. Ich bestach die Bediensteten. Unter meinen Freunden waren zu viele Herumtreiber oder wilde Gesellen. Ich geriet in Tumulte und flüchtete dann nach Hause. Wir vergnügten uns mit Ballspielen und schlugen uns auf den Straßen, und die Priester sammelten uns unter Drohungen mit der Rute wieder ein. Ich war brav, ich war unartig, jedoch nie wirklich schlecht.
    Nachdem ich im Alter von sechzehn Jahren aus der dies-seitigen Welt geschieden war, sah ich nie wieder eine Straße im Tageslicht, weder in Florenz noch sonst wo.
    Nun, immerhin habe ich das Beste von Florenz gesehen, das kann ich behaupten. Ich kann mich immer noch mü-
    helos an das Fest des heiligen Johannes erinnern, an dem jeder einzelne Laden in Florenz seine kostbarsten Waren ausstellen musste. Die Mönche und geistlichen Brüder sangen auf ihrem Weg zur Kathedrale die lieb-lichsten Hymnen, um Gott für den segensreichen Wohlstand der Stadt zu danken. Ich könnte so weiterma-chen und das Florenz jener Tage mit endlosen Ruhmes-hymnen überschütten, denn es war eine Stadt, in der Handwerk und Handel blühten und die großartige Kunstwerke hervorbrachte, gewitzte Politiker und wahrhaft schwärmerische Heilige, tiefsinnige Dichter, aber auch die kühnsten Schurken. Ich glaube, in Florenz kannte man damals vieles, was Frankreich und England erst noch lernen mussten und viele Länder bis heute nicht gelernt haben. Zwei Dinge gibt man allerdings zu: Cosimo war der mächtigste Mann der Welt. Und das Volk, und nur das Volk, regierte in Florenz damals und bis heute.
    Aber zurück zu unserer Burg. Auch dort fuhr ich fort, zu lesen und meinen Studien
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