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Vittorio

Vittorio

Titel: Vittorio
Autoren: Anne Rice
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obwohl er der reichste Mann Europas war.
    Im Hause Cosimos lebte der große Bildhauer Donatello, der Marmor- und Bronzearbeiten machte, und viele andere Maler und Dichter, auch Männer, die von Wundern schrieben oder Musikstücke verfassten. Der berühmte Brunelleschi, von dem die Kuppel der größten florentinischen Kirche stammt, errichtete damals eine weitere Kirche für Cosimo, und Michelozzo baute nicht nur das Kloster San Marco wieder auf, sondern arbeitete - ebenfalls für Cosimo - auch an dem Entwurf des Palastes, den heute alle Welt als Palazzo Vecchio kennt. Für Cosimo zogen Männer durch ganz Europa und stöberten in ver-staubten Bibliotheken nach längst vergessenen griechi-schen und römischen Klassikern, die dann von seinen Gelehrten in unsere Sprache übersetzt wurden, die Sprache, die Dante viele Jahre zuvor so kühn für seine Göttliche Komödie gewählt hatte.
    Und unter Cosimos Dach sah ich, ein sterblicher Knabe mit viel versprechender Zukunft, mit eigenen Augen die berühmtesten Gäste des Konzils von Trient, die aus dem fernen Byzanz gekommen waren, um den Bruch zwischen der östlichen und westlichen Kirche zu kitten: zwischen dem römischen Papst Eugen IV, dem Patriarchen von Konstantinopel und dem Kaiser des Ostens höchst-persönlich, Johannes VIII, der dem letzten byzantinischen Herrschergeschlecht angehörte. Ich sah, wie diese hohen Herren trotz heftigster Regengüsse in unbe-schreiblichem Prunk in die Stadt einritten, und ich sah sie an Cosimos Tafel speisen.
    Das genügt, mögen Sie sagen. Ich stimme Ihnen zu. Hier geht es nicht um die Geschichte des Hauses Medici. Nur eines lassen Sie mich noch sagen: Jeder, der Ihnen er-zählt, dass sie Schurken waren, diese berühmten Männer, ist ein absoluter Schwachkopf. Waren es doch die Nachkommen Cosimos, die sich großer Künstler wie Leonardo da Vinci, Michelangelo und zahlloser anderer annahmen. Und das alles ergab sich so, weil ein Bankier, ein Geldverleiher, wenn Sie so wollen, es großartig und richtig fand, der Stadt Florenz Schönheit und Glanz zu schenken.
    Ich komme an passender Stelle noch einmal auf Cosimo zurück, nur für einige kurze Worte, obwohl ich zugeben muss, dass es mir in jeder Hinsicht schwer fällt, mich hier kurz zu fassen; im Moment will ich nur eines sagen - Cosimo gehört zu den Lebenden. Ich teile seit 1450 mein Bett mit den Toten.
    Nun also dazu, wie alles begann; doch erlauben Sie mir noch eine weitere Vorbemerkung.
    Suchen Sie bitte nicht nach antiquierter Sprache. Sie werden kein steifes, konstruiertes Englisch finden, das durch gestelzten Satzbau und einengende Wortwahl alte Burgmauern heraufzubeschwören versucht. Ich werde meine Geschichte ganz natürlich erzählen und mich, um Eindrücke bemüht, in Worten suhlen, denn Wörter sind meine Leidenschaft. Und da ich ein Unsterblicher bin, habe ich das Englisch der letzten vier Jahrhunderte in mich aufgesogen, von den Stücken Christopher Marlo-wes und Ben Johnsons bis zu den abgehackten, plump-anspielungsreichen Ausdrücken eines Sylvester-Stallone-Films.
    Sie werden sehen, dass ich anpassungsfähig, gewagt und hier und da schockierend sein kann. Aber es bleibt mir nichts übrig, als all meine erzählerischen Fähigkeiten voll auszuschöpfen. Und beachten Sie, dass Englisch inzwischen nicht mehr allein die Sprache eines einzelnen Landes - oder zweier, dreier oder vierer - ist, sondern zur Sprache der modernen Welt wurde, von den hintersten Wäldern Tennessees bis zu den abgelegensten kelti-schen Inseln und den quirligen Städten Australiens und Neuseelands.
    Ich bin ein Renaissance-Mensch, deshalb durchstöbere ich alles und vermische es vorurteilslos, und dass mein Tun einem höheren Zweck dient, daran habe ich keinen Zweifel.
    Und was meine Muttersprache, Italienisch, angeht: Sie hören ihren weichen Klang in den Silben meines Namens
    - Vittorio; und hauchzart-duftig weht sie Ihnen mit den anderen in den Text eingestreuten italienischen Wörtern entgegen. Sie ist eine so liebliche Sprache, dass sie dem Wort ›Stein‹ drei Silben verleiht: pi-e-tra. Keine andere Sprache der Welt ist sanfter, weicher. Wenn ich andere Sprachen spreche, klingt in ihnen immer der italienische Akzent mit, wie man ihn auch heute noch in den Straßen von Florenz hört.
    Und dass meine englischsprachigen Opfer meine mit diesem Akzent gesprochenen Schmeicheleien so entzückend finden und meinem weichen, heiteren italienischen Ton verfallen, empfinde ich als einen unerschöpflichen
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