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Virtuelles Licht

Virtuelles Licht

Titel: Virtuelles Licht
Autoren: William Gibson
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gefragt, was für ein Name das sei. Er hatte gesagt, er sei ein Vollblutindianer.
    Rydell bezweifelte das irgendwie.
    Nicht mal ihre Stimmen waren echt; es war alles
    digital. Gottesfresser konnte ebensogut eine Frau oder drei verschiedene Leute sein; es war auch möglich, daß alle drei, die er gesehen hatte, nur eine Person waren. Er dachte an die Frau im Rollstuhl im Kognitive Dissidenten. Vielleicht war sie es. Jeder konnte es sein.
    Das war das Unheimliche an diesen Hackern. Er hörte, wie es bei der Netzknotennummer in Utah klingelte.
    Gottesfresser nahm immer beim fünften Mal ab, mitten im Klingeln.
    »Ja?«
    »Paradies«, sagte Rydell.
    »Richard?«
    »Nixon.«
    »Wir haben deine Sachen an Ort und Stelle, Richard.
    Ein kleines Hauruck und 'n Schubs.«
    »Habt ihr mir schon 'nen Preis gemacht?« Die Ampel sprang um. Jemand hupte, genervt von der Unfähigkeit des Montxo, so was ähnliches wie Beschleunigung zustande zu bringen.
    »Fünfzig«, sagte Gottesfresser.
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    Fünfzigtausend Dollar. Rydell zuckte zusammen.
    »Okay«, sagte er, »einverstanden.«
    »Ist auch besser«, sagte Gottesfresser. »Wir können dafür sorgen, daß es dir sogar im Knast ziemlich dreckig geht. Wir können dafür sorgen, daß es dir dort sehr dreckig geht. Wenn du draußen schon auf den Brustwarzen kriechst, fängt der Spaß da drin erst richtig an.«
    Ich wette, ihr habt auch jede Menge Freunde da drin, dachte Rydell. »Was meint ihr, wie lang ist die Reaktionszeit vom Augenblick meines Anrufs an?«
    Gottesfresser rülpste, lang und bedächtig. »Schnell.
    Zehn bis fünfzehn, maximal. Wir haben's so arrangiert, wie wir's besprochen haben. Deine Freunde werden sich in die Hosen scheißen. Aber du solltest wirklich zusehen, daß du nicht im Weg bist. So was hast du garantiert in deinem ganzen Leben noch nicht gesehen. Gibt da so 'ne neue Truppe, die sie grade aufgestellt haben.«
    »Hoffentlich«, sagte Rydell und unterbrach die
    Verbindung.
    Er gab dem Parkplatzwächter die Nummer von
    Karens Wohnung. Wenn alles vorbei war, würde es
    nicht mehr viel ausmachen. Er hatte sich die
    Taschenlampe hinten in die Hose gesteckt, unter der Jeansjacke, die Buddy ihm geliehen hatte.
    Wahrscheinlich gehörte sie Buddys Vater. Er hatte Buddy erzählt, er würde ihm helfen, irgendwo unterzukommen, wenn er nach L.A. käme. Er hoffte
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    irgendwie, daß Buddy das nie versuchen würde, weil Kinder wie Buddy von der Busstation aus nur ungefähr einen Block weit kamen, bevor ein wieselflinkes urbanes Raubtier sie erwischte — nur ein undeutliches Aufblitzen von Rädern und Zähnen, und von Buddy würde nichts Nennenswertes mehr übrig sein. Aber dann mußte er wiederum dran denken, wie es ihm gehen würde, wenn er Buddy wäre, in seinem Ein-mal-zwei-Meter-Schlafraum in diesem Caravan mit den Postern von Fallen und Jesus an der Wand, wo er heimlich sein VR
    rausholte, wenn sein Vater gerade nicht guckte. Wenn man nicht wenigstens den Versuch machte, da rauszukommen, wie würde man sich am Ende fühlen?
    Und deshalb mußte man eigentlich einen Toast auf
    Sublett ausbringen, weil der da rausgekommen war, trotz seiner Allergien und allem.
    Er machte sich jedoch Sorgen wegen Sublett.
    Ziemlich verrückt, sich in einer solchen Situation um irgend jemanden Sorgen zu machen, aber Sublett benahm sich, als ob er schon tot wäre oder so. Er machte mechanisch eins nach dem anderen, als ob ihm alles egal wäre. Das einzige, was ihm überhaupt noch eine Reaktion entlockte, waren seine Allergien.
    Und wegen Chevette ebenfalls, Chevette
    Washington; was ihm bei ihr Sorgen machte, war jedoch die weiße Haut auf ihrem Rücken, gleich oberhalb der Taille und über der schwarzen Radlerhose, wenn sie zusammengerollt im Bett neben ihm lag. Und daß er 451
    andauernd den Wunsch verspürte, sie dort anzufassen.
    Und wie sich ihre Titten unter ihrem T-Shirt
    abzeichneten, wenn sie sich morgens aufsetzte, und die kleinen, dunklen, geringelten Haare unter ihren Armen.
    Und als er jetzt auf das Terracotta-Kaffeemodul am Fuß der Rolltreppe zuging, während sich der rechteckige Kopf von Wallys Pfeffer versprühender Taschenlampe in sein Rückgrat grub, wußte er, daß er vielleicht nie wieder eine Chance bekommen würde. In einer halben Stunde konnte er tot oder auf dem Weg in den Knast sein.
    Er bestellte sich einen Latte mit doppeltem Schuß, bezahlte ihn mit seinem allerletzten Geld und warf einen Blick auf seine Timex. Zehn vor drei. Als er am Abend zuvor Warbabys
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