Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Virtuelles Licht

Virtuelles Licht

Titel: Virtuelles Licht
Autoren: William Gibson
Vom Netzwerk:
waren, die die Telefongesellschaften geärgert hatten. Im Grunde fielen sämtliche Verbrechen, die man früher unter dem Begriff ›Weiße-Kragen-Kriminalität‹
    zusammengefaßt hätte, heute sowieso unter
    Computerkriminalität, hatte der Gastdozent vom FBI gesagt, weil die Leute in den Büros eh alles mit Computern machten. Aber es gebe andere Verbrechen, die man trotzdem als Computerkriminalität im alten Sinne bezeichnen könne, weil in der Regel normale Kriminelle daran beteiligt seien und weil diese Kriminellen sich selbst nach wie vor für Hacker hielten.
    Die Öffentlichkeit neige immer noch dazu, hatte der FBI-Mann ihnen erklärt, Hacker als romantische Possenreißer oder so was anzusehen, ähnlich wie
    Kinder, die ein Klohäuschen versetzten. Lustige
    Schelme. In der alten Zeit, sagte er, hätten viele Leute gar nicht gewußt, daß es ein Klohäuschen gab, das versetzt werden konnte; das hätten sie erst gemerkt, als sie irgendwann in der Scheiße steckten. Rydells Kurs hatte pflichtschuldigst gelacht. Aber heute nicht mehr, 456
    sagte der FBI-Mann; der moderne Hacker sei ungefähr so romantisch wie der Killer einer Ice-Bande oder der Schläger eines Dancer-Kartells. Und erheblich schwerer zu fassen, obwohl man meistens damit rechnen könne, gleich ein paar mehr zu erwischen, wenn es erstmal gelänge, einen zu kriegen und ihn unter Druck zu setzen.
    Aber sie seien oft in Zellen organisiert, die wiederum zu größeren Gruppen zusammengefaßt seien, so daß man normalerweise höchstens die Mitglieder einer einzelnen Zelle hochnehmen könne; sie wüßten einfach nicht, wer die Mitglieder der anderen Zellen seien, und sie gäben sich auch alle Mühe, es nicht rauszufinden.
    Gottesfresser und seine Freunde, wie viele oder
    wenige es auch waren, mußten eine solche Zelle sein, eine von wer weiß wie vielen Einheiten in der sogenannten Republik der Sehnsucht. Und wenn sie das, was sie für ihn tun sollten, wirklich durchzogen, dann aus drei Gründen, wie er vermutete: Sie hatten was dagegen, daß San Francisco neu aufgebaut wurde, weil ihnen eine Infrastruktur mit vielen Löchern drin gut gefiel, sie berechneten ihm ein hübsches Sümmchen dafür — Geld, das er gar nicht hatte —, und sie hatten eine Möglichkeit ausgeknobelt, etwas zu tun, was noch nie jemand getan hatte. Und es war der letzte Grund, der sie wirklich auf Trab gebracht zu haben schien, nachdem sie einmal beschlossen hatten, ihm zu helfen.
    Als er jetzt die Rolltreppe raufging und sich zwang, nicht loszurennen, fiel es Rydell schwer zu glauben, daß 457
    Gottesfresser und die anderen tun würden, was sie angeblich tun konnten. Und wenn sie's nicht taten, tja, dann war er angeschissen.
    Nein, sagte er sich, sie werden's tun. Sie mußten.
    Irgendwo in Utah drehte sich eine Schüssel und richtete sich auf die Küste aus, auf den Himmel über Kalifornien.
    Und aus ihr — eingespeist von dort, wo Gottesfresser und seine Freunde saßen — würden diese Päckchen, nein, Pakete von Signalen kommen. Pakete hatte Gottesfresser sie genannt.
    Und irgendwo hoch oben über dem Klecks, über
    dem ganzen Becken von L.A. stand der Todesstern.
     
    Rydell schob sich an einem silberhaarigen Mann in weißer Tenniskluft vorbei und lief die Rolltreppe hinauf.
    Er kam unter der Kupfertitte heraus. Leute gingen in dem kleinen Einkaufszentrum dort ein und aus. Ein Brunnen mit Wasser, das an großen, zerklüfteten grünen Glasplatten hinabrann. Und da gingen die Russen; ihre breiten grauen Rücken steuerten auf die weißen Wände des Komplexes zu, in dem sich Karens Wohnung befand. Warbaby und Freddie waren nirgends zu sehen.
    Drei Uhr zweiunddreißig. »Scheiße«, sagte er, weil er wußte, daß es nicht funktioniert hatte, daß Gottesfresser ihn reingelegt hatte, daß er Chevette Washington und Sublett und sogar Karen Mendelsohn zum Tode verurteilt hatte — daß er wieder mal einfach gehandelt 458
    hatte und damit auf die Schnauze gefallen war, und zum letzten Mal obendrein.
    Und dann kamen diese Dinger durch einen Spalt im Glas, genau südlich von den Handballplätzen, und er hatte noch nie etwas Derartiges gesehen. Es war ein ganzer Haufen, vielleicht zehn oder zwölf, und sie waren schwarz. Sie machten so gut wie gar kein Geräusch, und sie schwebten irgendwie durch die Luft. Sie glitten einfach dahin. Die Spieler auf den Plätzen hielten inne, um sie zu beobachten.
    Es waren Hubschrauber, aber sie waren zu klein, um jemanden zu transportieren. Kleiner als das
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher