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Violas bewegtes Leben

Titel: Violas bewegtes Leben
Autoren: Adriana Trigiani
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du auch deine Geschichte finden.« Ich stecke die Kamera zurück in die Hülle und mache mich auf den Weg zum Wohnheim. Ich muss unbedingt daran denken, meiner Mutter zu sagen, dass man ab und zu einfach etwas Schönheit braucht. Und schöne Aufnahmen. Schönheit hilft mir, mich weniger einsam zu fühlen.
     
    Die gotische Eingangshalle riecht nach Zitronenpolitur und Bienenwachs. Das Wohnheim verströmt die Aura einer alten Kirche, obwohl es keine ist. Die Stufen und das Geländer, die in den ersten Stock führen, sind aus schwerem dunklem Holz gefertigt, die Decke ist mit großen Quadraten aus geschnitztem Mahagoni vertäfelt. Der burgunderrote Läufer auf der breiten Treppe ist an den Ecken ausgefranst, aber sauber.
    In dem Flur, der zu meinem Zimmer im zweiten Stock führt, wimmelt es von kleinen Gruppen mit Mädchen, Neuankömmlinge wie ich (!), die lachen und plaudern, als wäre es das Natürlichste auf der Welt, ins Internat zu ziehen. Ich werde mir große Mühe geben, diese lachenden, glücklichen Mädchen nicht zu verachten.
    In den Zimmern sind noch mehr Mädchen. Sie hängen Poster auf, packen aus und plappern, als würden sie sich seit Ewigkeiten kennen.
    Aber dann sind da noch die anderen Mädchen, Mädchen, die ganz still sind und sich aneinanderdrängen, während sie mitriesigen, angstvollen Augen um sich schauen und darauf warten, dass etwas Schreckliches passiert.
    Ich schätze, ich stehe irgendwo zwischen diesen beiden Lagern.
    Ich will nicht zu schnell Freundschaften schließen, weil ich nicht an einer besten Freundin kleben bleiben will, die am ersten Tag total nett wirkt und sich eine Woche später dann als nervigste Person der Welt herausstellt. Zu diesen Neuen will ich nicht gehören – den aufgekratzten, die schnell Freunde brauchen, damit sie sich nicht alleine fühlen. Deshalb gebe ich mich absichtlich reserviert. In der LaGuardia Highschool, meiner alten Schule, hat diese Methode sehr gut funktioniert.
    Dort habe ich gute Freunde gefunden, als ich die Fotos für das Jahrbuch machte. Ich habe sogar meinen besten Freund seit Kindertagen dazu überredet, der Jahrbuchredaktion beizutreten.
    Andrew Bozelli, mein allerbester Freund auf der Welt, und ich haben viel gemeinsam. Und es macht uns auch nichts aus, dass alle denken – und zwar wirklich alle –, wir seien ein Paar. Was im Übrigen gar nicht stimmt, wir verbringen nur zufällig viel Zeit miteinander. Und wir hatten beide das Glück, eine Sondergenehmigung zu bekommen, um auf die LaGuardia Highschool mit ihrem Schwerpunkt Kunst zu gehen. Ich fische mein Handy aus der Tasche, als es piepst. Es ist Andrew.
     
    AB: Ausgepackt?
    Ich: Ja.
    AB: Was hast du gefilmt?
    Ich: Außenaufnahmen. Ich schick’s dir.
    AB: Du hasst es jetzt schon.
    Ich: Stimmt.
    AB: Halte durch.
    Ich: Ich versuch’s.
     
    Andrew und ich, wir können sozusagen gegenseitig unsere Gedanken lesen. Wir kennen uns quasi von Geburt an. Seine Mutter und meine sind befreundet, und sie haben sich oft verabredet, damit wir zwei zusammen spielen, weil ich ein Einzelkind bin und meine Mutter nicht wollte, dass meine soziale Kompetenz verkümmert. Und vor allem wollte sie, dass ich mit Jungs spiele, damit ich sie, wenn ich vierzehn werde, nicht seltsam finde, wie Wesen von einem fremden Planeten oder so. Mrs. Bozelli wollte, dass Andrew mit mir spielt, weil sie dachte, wenn er mit mir zusammen wäre, würde er etwas mehr »Finesse« entwickeln.
    Andrew hat zu Hause nämlich ganz schön oft Ärger, weil er der mittlere von drei Brüdern und immer an allem schuld ist. Es ist wie bei einem Marmeladenbrot: Die beiden Brotscheiben der glücklichen Familie drücken auf die Marmelade in der Mitte, bis sie rausquillt. Andrew beschwert sich nie darüber, er sagt, es sei ihm egal. (Ich würde mich beschweren, aber was weiß ich schon? Ich habe keine nervigen Brüder – und auch keine lustigen.) Er sagt nur: »So ist es eben«, und hängt ständig bei uns rum, was mich überhaupt nicht stört.
    Andrew ist zwar mein bester Freund, aber die große Liebe meines Lebens ist und bleibt Tag Nachmanoff, zufällig der bestaussehende Junge von ganz Brooklyn. Er ist bestimmt der hübscheste Junge von allen New Yorker Bezirken, aber da niemand, den ich kenne, je nach Staten Island fährt, sage ich lieber nur von ganz Brooklyn, weil ich das mit absoluter Sicherheitweiß. Das Problem ist nur, dass ich nicht die Einzige bin, die ihn toll findet – alle Mädchen in der Schule sind verrückt nach ihm.
    Tag
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