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Violas bewegtes Leben

Titel: Violas bewegtes Leben
Autoren: Adriana Trigiani
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ist groß und hat richtig breite Schultern. (Er schwimmt und spielt Feldhockey.) Er hat schwarze Haare und ganz dunkelbraune Augen und er sieht einfach so unglaublich gut aus, dass es mich nicht überraschen würde, wenn er niemals eine Freundin hat, weil es kein Mädchen gibt, das hübsch genug für ihn ist. Er sollte einfach alleine durch die Welt ziehen, wie ein griechischer Gott oder so, auf der Suche nach Wahrheit oder Schätzen. So gut sieht er aus, echt wahr.
    Tag bleibt auf Distanz. Er hat das Coolsein quasi erfunden. Und er ist älter und sucht vermutlich nach einem Mädchen in seinem Alter, aus der elften Klasse (sechzehn, fast siebzehn) und nicht aus der neunten (vierzehn) wie ich. Der große Altersunterschied zwischen uns stört mich nicht, denn Tag ist einfach perfekt, und ich habe sogar den Beweis dafür auf Film.
    Als unsere Schule sich an der »Wir teilen Gottes Liebe aus«-Kampagne beteiligte, bei der Essen für Obdachlose und Kranke gekocht wurde, machte ich einen Film darüber. Tag war der Schülerkoordinator, deshalb interviewte ich ihn stundenlang und achtete anschließend darauf, jede Menge Aufnahmen von ihm zu machen. Wie er Gulasch schöpfte, Schokokuchen backte, so was eben. Wenn ich mir die Szenen dieses Tages anschaue, kann ich kaum glauben, dass ein solcher Junge romantisch gesehen tatsächlich für ein Mädchen infrage kommen könnte – von mir ganz zu schweigen. Er ist sexy und nett, und meine Mutter sagt, das sei eine sehr seltene Kombination bei Jungs und Männern.
    Außer dieser Pflichtveranstaltung an unserer Schule saß ichauch mal mit ihm in einem Film- und Videokurs. Einmal hatte er Schwierigkeiten, sein Filmmaterial für eine Hausaufgabe richtig zu schneiden, und weil ich wirklich gut mit der Filmbearbeitungssoftware umgehen kann, bin ich zu ihm hin und habe ihm geholfen. Er hat nach Chlor und Sandelholz gerochen – frisch und sauber, wie das Wasser nach einer Poolreinigung. Hinterher lächelte er mich an und sagte: »Danke, Violet Riot.«
    Obwohl ich eigentlich Viola heiße, habe ich ihn nicht verbessert, weil es mir irgendwie gefiel, dass er mir einen besonderen Namen gegeben hat. Und er sagt es immer , jedes Mal wenn er mich sieht, ganz laut, auf dem Flur oder wenn er in der Cafeteria an mir vorbeigeht.
    Einmal, als meine Mutter mit mir zu meinem Lieblingsladen ins Village gefahren ist, damit ich mir dort zu meinem vierzehnten Geburtstag »ein schickes Teil« zum Anziehen aussuchen konnte, kam er zufällig mit seinen Freunden vorbei und rief über die Straße »Violet Riot« zu mir herüber. Meine Mutter fragte: »Wer ist denn das?« Aber ich war total cool und antwortete nicht. Sie sagte: »Er ist jedenfalls ziemlich groß.« Ich tat einfach so, als kümmerte es mich nicht, dass wir TN begegnet waren. Um ehrlich zu sein, konnte ich es einfach nicht glauben, dass das Schicksal uns beide zum exakt gleichen Zeitpunkt ins Village geführt hatte. Ich meine, wie kann das sein? Aber so war es, und meine Freundin Caitlin Pullapilly sagte, das sei definitiv ein Zeichen. Ich vermisse Caitlin sehr. Sie ist ein unglaublich spiritueller Mensch.
     
    An der Tür zu meinem neuen Zimmer, dem Vierer Nr. 11, im zweiten Stock des Curley-Kerner-Baus, schwebt auf einer Tonpapierwolke ein Foto von mir. Wie kitschig. UnsereMentorin, die die Türen geschmückt hat, ist eine Oberstufenschülerin namens Trish, die etwa achtzehn sein dürfte und immer noch eine Invisalign-Zahnspange trägt. Ein schlechtes Zeichen. Das Foto ist das schlimmste, das je von mir gemacht wurde. Sie knipste es, nachdem meine Eltern mich hier abgeladen hatten und wieder wegfuhren, und ich sehe darauf aus, als würde ich gleich sterben. Ich wusste nicht, dass sie es an meine Tür hängen würde, sonst hätte ich ihr nie erlaubt, mich zu fotografieren. Jetzt muss ich damit leben, dass mein Kopf wie ein eingedrückter Basketball auf einer Wolke schwebt, mit Augen, die so geschwollen sind vom Heulen, dass es aussieht, als hätte ich Heuschnupfen. Daneben hängen noch drei weitere Wolken, leere, die mit den Köpfen meiner Mitbewohnerinnen gefüllt werden sollen. Hoffentlich werden ihre Fotos genauso schrecklich wie meins. Mein Kopf hing seit meiner Kindergartenzeit nicht mehr an einer Tür. Damals war ich drei, und mein Foto klebte auf einem roten Tonpapierballon. Also, eine Wolke ist nicht unbedingt ein Fortschritt.
    Ich habe an der Auslosung für ein Einzelzimmer teilgenommen. Zehn Schulanfängerinnen bekommen Einzelzimmer
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