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Vierter Stock Herbsthaus (German Edition)

Vierter Stock Herbsthaus (German Edition)

Titel: Vierter Stock Herbsthaus (German Edition)
Autoren: Oliver Susami
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du”, sagt Alex nach einigen Sekunden. Ist er beleidigt? Ich antworte nicht, schaue auf die Monitore.
    „Du musst übrigens nicht dauernd auf diese Bildschirme starren. Die Patienten sind alle verkabelt. Wenn mit einem was nichts stimmt, wenn einer nicht mehr atmet, dann geht sowieso der Alarm los.”
    Ich gähne und starre weiter auf die Bildschirme. Was soll ich denn sonst machen? Hinter mir raschelt Alex mit Papier. Dann höre ich das Geräusch einer Kugelschreiberkugel auf Papier. Alex schreibt schnell, schwungvoll. Es hört sich an, als ob jemand leise aber schnell ra-ra-ra-ra-ra sagt.
    Jetzt ist es kurz nach vier und ich trinke meinen dritten Kaffee. Langsam muss ich aufhören, sonst kann ich nicht schlafen, wenn ich in zweieinhalb Stunden zu Hause bin. Meine Augen wandern über die Monitor-Menschen, live, klein und ganz ohne Farbe. Nichts Ungewöhnliches, eine Frau ist wach und leckt sich die Lippen, ein älterer Mann fasst sich im Halbschlaf an die Nase. Es sieht aus, als wolle er sie festhalten und würde dabei immer wieder abrutschen … irgendwie süß.
    Mir fallen die Augen zu. Ich könnte meinen Kopf auf den Tisch legen und wegdösen. Vielleicht hilft Frischluft.
    „Ich mach noch 'nen kleinen Spaziergang”, sage ich.
    „Viel Spaß”, antwortet Alex ohne aufzusehen.
    Wieder gehe ich zu dem großen Fenster im Treppenhaus. Wieder kommt kein schwarzer Vogel und trägt mich in mein Bett. Als ich zurück bin, sitzt Alex vor den Monitoren.
    „Schau mal, der Schlechter hat sich wieder hingesetzt.”
    Ich stelle mich hinter Alex, schaue ihm über die Schulter. Ja, Herr Schlechter sitzt wieder auf dem Rand des Bettes … völlig starr, genau wie vorhin. Plötzlich kommt Bewegung in die Szene.
    „Was macht er denn jetzt?”, fragt Alex.
    „Sieht so aus, als ob er aufstehen will. Vielleicht muss er aufs Klo.”
    Georg Schlechter wippt mit dem Oberkörper vor und zurück, als wolle er Schwung holen. Aber immer, wenn sein Körper vorne ist, wenn er sein Gewicht auf die Beine verlagern könnte, schwingt er wieder zurück. Er erinnert mich an verhaltensgestörte Zootiere in zu kleinen Käfigen, die machen auch solche Bewegungen. Als Kind haben mich meine Eltern oft in den Zoo mitgenommen. Schon als kleines Mädchen hatte ich Mitleid mit den eingesperrten Tieren.
    Plötzlich steht er auf, der graue Mann auf dem grauen Bildschirm. Er macht zwei Schritte vom Bett weg und bleibt dann stehen. Vorsichtig entfernt er die Kabel von seinem Körper.
    „Glaubst du, der ist wach?”, frage ich Alex.
    „Wirkt auf jeden Fall sicher auf den Beinen.”
    Der Mann auf dem Bildschirm schaut sich im Zimmer um. Diese Zimmer sind nicht komplett abgedunkelt, man kann sich orientieren.
    „Soll ich mal zu ihm gehen … ihn fragen, ob alles in Ordnung ist?”
    Alex lässt sich Zeit mit der Antwort.
    „Nee, lass mal. Vielleicht geht der wirklich nur aufs Klo.”
    „Ich dachte nur … wegen den Kabeln.“
    „Nee, wart' mal.“
    Herr Schlechter geht nicht aufs Klo, er geht langsam um das Bett herum und stellt sich in eine Ecke des Zimmers, mit dem Gesicht zur Wand. Wir sehen nur noch seinen Rücken.
    „Was zum Teufel gibt das?”, flüstert Alex.
    Herr Schlechter steht da wie ein Schüler, den der Lehrer zur Strafe in die Ecke gestellt hat. Die Hände scheint er vor dem Körper verschränkt zu haben, wir sehen nur die Ellenbogen.
    „Vielleicht sollte ich doch mal zu ihm gehen”, sage ich. Alex antwortet nicht. Er hat die Stirn in Falten gelegt und kneift die Augen zusammen.
    Wir sehen es im gleichen Moment. Die Schlafanzughose des grauen Mannes auf dem Monitor färbt sich dunkel. Ein großer Fleck breitet sich darauf aus.
    „Hat der sich gerade in die Hose gemacht?“, frage ich Alex. Er antwortet nicht, starrt angestrengt auf den kleinen, grauen Bildschirm und reibt sich das schlecht rasierte Kinn.
    Plötzlich knallt Alex die Hände auf den Tisch. Ich erschrecke und zucke vor ihm zurück. Er stößt sich ab, springt vom Stuhl auf und rennt zur Tür. Was verdammt ist los? Schon ist Alex draußen, harte Schritte auf dem Flur. Ich schaue auf den Monitor. Herr Schlechter steht in seiner Ecke, der Fleck wird immer größer. Das ist kein Urin, das ist etwas Dichteres, etwas Dunkleres, etwas … oh Gott! Ich sehe noch, wie Alex ins Zimmer stürmt.
    Herr Schlechter sackt in sich zusammen, bevor der Pfleger bei ihm ist.
     
    ***
     
    Kein Schwarzweiß mehr, alles in Farbe. Alex hat auf den Lichtschalter geschlagen, alles liegt bunt und
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