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Vierter Stock Herbsthaus (German Edition)

Vierter Stock Herbsthaus (German Edition)

Titel: Vierter Stock Herbsthaus (German Edition)
Autoren: Oliver Susami
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wirkten. Erst vor wenigen Wochen rief mich ein Mann an, der S3 gelesen hatte. Ich habe keine Ahnung, wo er meine Telefonnummer her hatte. Dieser Mann lobte mein Buch (das freute mich), dann berichtete er von einem eigenen unheimlichen Erlebnis in seinem Elternhaus (das interessierte mich), und dann leitete er wieselflink zu dem Thema über, das ihm tatsächlich am Herzen lag: Nazi-Ufos.
    Zu meinem Erstaunen erfuhr ich, dass das Dritte Reich keineswegs untergegangen sei, dass die Nazi-Größen vielmehr (das irritierte mich) mit Ufos die Welt kontrollierten.
    Nicht gewillt, mich näher mit nationalsozialistischen Untertassen zu befassen, beendete ich das Gespräch – freundlich aber bestimmt.
    Auch andere Merkwürdigkeiten begegneten mir. Eine ältere Dame zeigte mir Familienfotos, auf denen eine Geistererscheinung zu sehen sein sollte. Tatsächlich war auf jedem der sieben Bilder ein blasser, verschwommener Fleck zu erkennen, etwa in der Form eines aufrecht stehenden Menschen. Da ich mich mit Fotografie auskenne, interpretierte ich den Fleck nicht als Familiengespenst, sondern schlicht als Lichteinfall. Die Bilder waren mit einer Minolta aufgenommen worden, die nicht nur vierzig Jahre alt, sondern auch furchtbar verbeult war. Die Rückwand der Kamera lag nicht mehr richtig an, Licht fiel auf den Film und erzeugte diese weißen Flecken.
    Als ich der Dame meine These unterbreitete und ihr an der alten Kamera den Grund für die weißen Flecken aufzuzeigen versuchte, da wurde sie bockig. Die schnöde Realität war nicht gefragt, die Temperatur fiel unter den Gefrierpunkt und bald verabschiedete ich mich.
    Noch ein anderes Erlebnis möchte ich erzählen. Vor etwa einem halben Jahr schrieb mich eine junge Frau an. Thema der Mail: Das Wohnzimmer-Aquarium. Wenn man sich vor den Kasten setze, durch das Aquarium hindurch schaue und ganz still sei, dann sehe man nach wenigen Minuten zwei traurige Gesichter. Es handle sich dabei um einen Mann und eine Frau, die vor Jahrzehnten in der Wohnung lebten – beide mittlerweile verstorben.
    Ich erzählte meiner Freundin von den Gesichtern hinter dem Aquarium und sie reagierte mit: „Das ist so abgedreht, das kann man sich nicht ausdenken. Fahr da doch mal hin.”
    Ich fuhr die 140 Kilometer und mich begrüßte eine junge Frau mit popolangen, orange gefärbten Haaren. Sie kam schnell zur Sache, rollte einen Schreibtischstuhl ins Wohnzimmer und platzierte mich vor dem etwa einen Meter langen Glaskasten. Schweigend und regungslos starrte ich ins Aquarium und durch das Aquarium hindurch. Ich sah: Fische und Schnecken, grün-gelbes Pflanzenzeug, einen Miniatur-Unterwasser-Tempel und den Dreck auf den Scheiben. Das war's. Keine Gesichter. Keine toten Menschen. Nach fünf Minuten kam ich mir idiotisch vor, nach zehn Minuten gab ich es auf. Die Orangefarbene erklärte mir, dass es eben nicht immer klappe, dass ich wohl einfach Pech gehabt habe.
    Vielleicht lag der Misserfolg auch daran, dass während meines Starrens ins Aquarium der Lebensgefährte der Gefärbten – ein ebenso verschwenderisch wie geschmacklos tätowierter Zweimeter-Hooligan – nur einen großen Schritt von mir entfernt stand und wiederum mich (böse) anstarrte. Was zum Teufel dachte der? Dass ich über seine Liebste herfalle, sobald er mich zwei Sekunden aus den Augen lässt?
    Als ich wieder im Auto saß und die Auffahrt zur A45 suchte, da schwor ich mir, nie mehr auf Verdacht über hundert Kilometer zu fahren. Zumindest nicht, um Fische, verdrecktes Glas und blöde Unterwasser-Tempel anzustarren.
    Es soll nicht der Eindruck entstehen, dass ich es im Anschluss an die Veröffentlichung von S3 mit Hunderten von Spinnern und Wichtigtuern zu tun bekam. Die Meisten, die sich mit eigenen Erlebnissen bei mir meldeten, zeigten sich als angenehme, intelligente und durchaus selbstkritische Menschen. Viele ihrer Berichte erscheinen mir glaubwürdig, einige waren extrem unheimlich. Und aus einem dieser Berichte, den ich als ebenso glaubwürdig wie unheimlich empfand, entstand das, was Sie gerade lesen.
    Es war Januar 2013, als sich die junge Frau bei mir meldete, aus deren Perspektive ich dieses Buch geschrieben habe. Ich nenne sie Lena, doch das ist nicht ihr richtiger Name. Lena befindet sich im letzten Drittel ihres Medizinstudiums, sie will nicht, dass ihr echter Name in diesem Buch auftaucht, sie will nicht das Risiko eingehen, von ihren Kollegen als „Spinnerin“ abgestempelt zu werden. Auch alle anderen Namen, die in diesem
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