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Vierter Stock Herbsthaus (German Edition)

Vierter Stock Herbsthaus (German Edition)

Titel: Vierter Stock Herbsthaus (German Edition)
Autoren: Oliver Susami
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eigentlich zu zweit hier sein?“, frage ich Alex. Er gähnt, bevor er antwortet. Würde ich für jeden seiner Gähner zwei Euro bekommen, dann würde sich das hier richtig lohnen.
    „Das hat glaub' ich rechtliche Gründe. Du bist ja noch Studentin. Und wenn was passiert, dann muss jemand mit 'ner abgeschlossenen Ausbildung da sein ...” Er nimmt einen Schluck Kaffee. „... ab und zu haben wir hier ja auch Leute mit ziemlich heftigen Atemaussetzern. Wenn einer mal blau anläuft oder einem das Herz stehen bleibt, dann ist man wahrscheinlich heilfroh, wenn man nicht alleine ist.”
    „Hast du das mal erlebt?”
    „Hier im Schlaflabor bisher zweimal. Ist aber noch keiner gestorben in meiner Schicht … Glück gehabt.”
    „Wie lange arbeitest du schon hier?”
    „In der Klinik zehn Jahre, hier seit drei Jahren. Wenn man sich an die Nachtschichten gewöhnt hat, ist es ganz in Ordnung, man kriegt ja auch Zulage. Wie lange bist du eigentlich noch hier.”
    „Noch vier Wochen wahrscheinlich. Also solange noch Semesterferien sind.”
    „Ach so, dann ist das so 'ne Art Ferienjob. Ich dachte, das gehört bei dir zum Medizinstudium.”
    „Nee, nicht direkt. Eher Ferienjob.”
    „In welchem Semester bist du eigentlich?”
    „Ganz am Anfang. Ich komme jetzt ins dritte.”
    „Okay, also noch vorklinischer Teil. Und, macht's Spaß?”
    „Manchmal”, sage ich und nehme einen Schluck Kaffee. Alex ist okay, ich sollte ihn besser behandeln. Vielleicht sollte ich ihm auch sagen, dass ich erstens auf Frauen stehe und zweitens in festen Händen bin, nicht dass er sich Hoffnungen macht ... er ist ja nicht so viel älter als ich, Anfang Dreißig. Hat Alex eigentlich 'ne Freundin? Ist er verheiratet?
    „Was macht denn der da?” Alex zeigt auf einen der Monitore. „Kann wohl nicht schlafen.”
    Einer der Patienten sitzt regungslos auf der Kante des Krankenhausbettes. Er trägt eine gestreifte Schlafanzughose, sein Oberkörper ist nackt und sein weißer Bauch quillt über den Hosenbund.
    „Ich könnte auch nicht schlafen mit dem ganzen Kabelzeug am Körper”, antworte ich. Alex sagt nichts, ich höre ihn hinter mir atmen. Der Mann auf dem grieseligen Schwarzweißschirm sitzt noch immer auf der Bettkante. Nach etwa einer Minute sagt Alex doch etwas:
    „Schlechter heißt der, Georg Schlechter. Ist seit zwei Tagen hier zur Beobachtung. Eigentlich ganz angenehmer Typ ... aber immer, wenn ich mit dem gesprochen habe, hatte ich den Eindruck: Mit dem stimmt irgendwas nicht.”
    „Sieht doch ganz entspannt aus, wie der da so sitzt.” In demselben Moment, als ich es sage, kommt mir das Gesagte saublöd vor. Dieser Mann sieht nicht im Geringsten entspannt aus. Er sitzt auf der Bettkante wie eine Wachsfigur, die man hier hingesetzt hat und die gleich vornüber kippt ... völlig erstarrt. Nicht einmal sein Brustkorb bewegt sich. Atmet der überhaupt noch?
    „Irgendwie komisch“, murmelt Alex. „Kennst du das? Du weißt, dass mit jemandem was nicht in Ordnung ist, aber du hast keine Ahnung, was es sein könnte. Du weißt nicht einmal, ob es demjenigen gut oder schlecht geht. Das ist, als ob man in ein Zimmer kommt und irgendwas hat sich verändert. Man weiß nicht was, aber es stört einen, irgendwas stimmt nicht. Und man kann einfach nicht sagen, was es ist.”
    Ich mache „mhm” und schaue weiter den grauen Mann an. Wenn sich wenigstens sein Brustkorb heben und senken würde.
    „Wieso ist der eigentlich hier … also im Schlaflabor?”, frage ich Alex.
    „Müsste ich in der Akte nachschauen … irgendwas mit Alpträumen glaub' ich. Wir sollten den mal im Auge behalten, nicht dass der aufsteht und sich die Kabel abreißt.”
    Einige Minuten vergehen, ich starre auf den Monitor … mein linkes Bein ist eingeschlafen.
    „Kannst du kurz übernehmen, ich muss mal ein paar Schritte laufen.”
    „Kein Problem, mach 'nen Spaziergang.”
    Ich stehe auf und reibe meine brennenden Augen. Alex setzt sich auf den angewärmten Stuhl, merkt, dass er seinen Kaffee vergessen hat, steht wieder auf und holt ihn. Ich gehe hinaus auf den Flur, schüttle mein linkes Bein, strecke die Arme, reibe gähnend die Augen und merke, dass Gähnen und Augenreiben gleichzeitig schlecht geht. Beim Gähnen zieht sich die Haut um die Augen zusammen … zumindest bei mir.
    Herrje, ich bin einfach nicht gemacht für Nachtschichten, andere verkraften das viel besser. Auch Alex macht es weniger aus … okay, der ist es ja auch gewohnt, arbeitet ja schon über
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