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Vierter Stock Herbsthaus (German Edition)

Vierter Stock Herbsthaus (German Edition)

Titel: Vierter Stock Herbsthaus (German Edition)
Autoren: Oliver Susami
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Er hat gesehen, was er sehen muss.
    „So was am Kopf sieht meistens schlimmer aus, als es ist.“ Der Arzt steht auf, geht zum Waschbecken und wäscht sich die unheimlich großen, von dicken Adern überzogenen Hände. Durch das Rauschen des Wassers hindurch spricht er weiter. „Am Kopf ist alles gut durchblutet, das sieht dann immer gleich so aus, als hätte man eine riesige Wunde … obwohl das nur ein Ratscher  ist.“
    „Ja, ich weiß.“
    „Sind Sie vom Fach?“
    „Ja … also ich studiere Medizin.“
    „Aha, Kollegin also. Dann werde ich mal versuchen, alles richtig zu machen.“
    Eine halbe Stunde später ist meine Wunde gesäubert, genäht und abgedeckt.
    „Wie ist das überhaupt passiert?“, fragt mich der Doktor mit der Türsteherfigur. „Haben Sie mit 'nem Bären gekämpft?“
    Nein, nicht mit einem Bären. Eher mit einem Affen, mit einem großen, schwarzen Affen.
    „Na gut, geht mich ja auch nichts an. Sie sollten übrigens vorerst darauf verzichten, die Haare zu waschen … muss ich Ihnen ja eigentlich nicht sagen. Das Pflaster können Sie selbst wechseln. Vorsichtig abziehen, nicht abreißen.“
    Ich steh auf und verabschiede mich von dem Klotz im weißen Kittel. Er grinst mich an, während er mir die Hand schüttelt.
    „Dann alles Gute noch für Ihr Studium. So unter uns Medizinern: Den Großteil von dem Kram, den Sie da lernen, den brauchen Sie nachher überhaupt nicht.“
    Er sagt es, lässt meine Hand los und schiebt mich sanft aber bestimmt Richtung Tür. Draußen wartet der Polizist, der mich hergebracht hat.
    Am liebsten hätte ich ja gleich meine Aussage gemacht, ich hatte mir geistig schon alles parat gelegt. Aber als ich mit blutüberströmtem Gesicht – nachdem ich Tobias und Kerstin rausgelassen hatte, drückte ich noch ein bisschen an meiner Kopfwunde herum, des dramatischen Effektes wegen – auf der Wache ankam, da packten die mich direkt in einen Streifenwagen und fuhren mich ins Krankenhaus:
    „Keine Diskussion, junge Frau. Nicht dass Sie uns hier noch umkippen.“
    Zumindest verzichteten sie auf Blaulicht und Sirene.
    Eine kurze, schweigsame Autofahrt und ein längeres Gespräch später: Einen halben Meter vor mir steht ein Glas Orangensaft und noch einen halben Meter weiter sitzt ein junger Polizist. Er ist höchstens Mitte zwanzig, bemüht sich aber, professionell zu wirken, professionell und abgebrüht. Er versucht es mit Polizeijargon und Fremdwörtern, die er ab und zu nicht ganz korrekt ausspricht. Gerade habe ich ihm meine Version der Geschichte erzählt.
    „Gut, Frau Pander. Noch einmal um sicher zu gehen, dass wir das alles richtig haben. Ihre Lebensgefährtin hat Ihnen diese Verletzungen mit einem Schlüsselbund zugefügt … sie hat also … hm, wie schreib ich das am besten? … sie hat die Schlüssel also zwischen die Finger genommen und dann zugeschlagen?“
    „Ja, genau. Deshalb diese Kratzverletzungen. Sie hat mich zum Glück nicht voll erwischt.“
    „Ja … und ähm, wann hat das bei Ihrer Freundin angefangen, also das mit den Halluzinationen und Wahnvorstellungen … beziehungsweise auch das mit dem aggressiven Verhalten Ihnen gegenüber?“
    „Vor etwa zwei Wochen. Sie hat angefangen, sich einzubilden, dass es bei uns in der Wohnung spukt. Und sie hat nachts einige Male eben diese Erscheinungen gehabt … dass sie irgendwelche Tiere oder auch kleine Kinder in der Wohnung gesehen hat. Am Anfang dachte ich, sie hat nur Alpträume. Aber sie hat darauf bestanden, dass wir nicht alleine in der Wohnung sind … ich habe das nicht ernst genommen, ich habe das einfach nicht ernst genommen.“
    Obwohl ich nicht weine, schiebt mir der Polizist eine Packung Taschentücher über den Tisch. Ich nehme mir eines und tupfe mir die Augen.
    „Danke.“
    „Und war das vorher schon einmal … also dass ihre Lebensgefährtin solche Wahnvorstellungen hatte?“
    „Nein, also das hat wirklich angefangen, als wir dort in das Haus gezogen sind. Und ich dachte eben, vielleicht wird das besser, wenn wir wieder von dort wegziehen. Deshalb wollte ich sie ja überreden, die Wohnung zu verlassen … aber da wurde sie dann immer unberechenbarer. Ich kann einfach nicht fassen, dass sie das getan hat. Ich habe ihre psychischen Probleme total unterschätzt … ich habe das viel zu lange nicht ernst genommen.“
    Der junge Polizist schiebt seine Blätter zusammen und macht sich auf dem obersten Blatt irgendwelche Notizen. Ich kann nicht erkennen, was er da schreibt.
    „Nun Frau
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