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Vierter Stock Herbsthaus (German Edition)

Vierter Stock Herbsthaus (German Edition)

Titel: Vierter Stock Herbsthaus (German Edition)
Autoren: Oliver Susami
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heben kann, sehe ich Paula und die alte Frau. Sie stehen sich gegenüber, Paula zittert und Frau Diehl schreit sie an:
    „Lass es endlich gut sein! Hör auf damit! Hör auf, Margarete, hör endlich auf! Lass sie doch in Ruhe!“
    Das Schreien klingt verzweifelt, viel mehr flehend als wütend: „Hör auf damit, Margarete, hör doch bitte endlich auf damit!“
    Jetzt kann ich den Kopf halten, dieses schwere, umständliche Ding, jetzt kippt er mir nicht mehr ständig nach vorne. Ich stemme mich hoch und meine Beine halten. Dann mache ich einen plumpen, halb gestolperten Schritt zur Seite und begreife, dass Frau Diehl nicht Paula anschreit. Sie schreit in das Zimmer hinein … aber da ist doch niemand, ich sehe überhaupt niemanden. Frau Diehl hebt flehend die Hände, ihr laufen die Tränen über das zerfurchte, gerötete Gesicht:
    „Margarete, hör doch auf. Geh doch endlich! Ich komm ja auch bald, geh doch endlich weg!“
    Wen sieht die alte Frau da? Ihre Schwester? Sieht sie eine der Gestalten, die ich auch gesehen habe? Oder hat sie ihre eigene Erscheinung? Ich drücke mich an der Wand entlang Richtung Tür, Paula steht in der Mitte des Zimmers und betrachtet ihre Faust – die Faust, mit der sie nach mir geschlagen hat. Meine verletzte Haut brennt, Blut klebt mir im Auge. Ich weiß, dass ich Wunden habe, dass mein Haar voller Blut ist … und das ist meine Chance, es muss schlimm aussehen, es soll schlimm aussehen, es soll aussehen, als wäre ich am verrecken.
    Als ich bei der Tür bin – immer noch schreit Frau Diehl in die Leere des Raumes – da wendet Paula mir plötzlich das Gesicht zu. Keine Aggressivität liegt in ihren Blick, nur Ratlosigkeit. Sie schaut mich an, wie man etwas anschaut, von dem man nicht weiß, was es ist und was man damit anfangen soll. Ganz kurz nur treffen sich unsere Blicke, dann bin ich zur Tür hinaus.

Ich habe mein Handy vergessen. Es ist völlig idiotisch, den Bruchteil einer Sekunde denke ich tatsächlich darüber nach, zurück zu gehen und mein Handy zu holen. Vielleicht steht Paula immer noch ganz regungslos da, vielleicht kann ich das Ding einfach vom Boden aufheben. Dieser völlig bescheuerte Gedanke schafft es sogar, meine Schritte zu verlangsamen.
    Doch schon bin ich am Aufzug vorbei und reiße die Tür zum Treppenhaus auf. Ich halte mich mit der linken Hand am Geländer fest und nehme immer mehrere Stufen auf einmal. Das Blut, das mir ins Auge gelaufen ist, habe ich weggewischt und weggeblinzelt, auch geistig bin ich klar. Paulas Schlag mit dem Schlüsselbund hat mir nur die Haut aufgerissen. Keine Ahnung, woher dieses Blackout gerade kam.
    Als ich das Erdgeschoss betrete, da erstarre ich. War das ein Geräusch von oben? Die Tür zum Treppenhaus? Ich halte die Luft an, und das obwohl mein Körper ganz dringend nach Sauerstoff verlangt. Sind das Schritte? Auf einmal bin ich mir sicher, dass Paula gerannt kommt, sie verfolgt mich … und sie ist schneller als ich, war sie immer schon. Aber noch habe ich einen guten Vorsprung, noch kann ich es bis zum Auto schaffen. Tür auf und raus hier, durch die Eingangshalle. War das gerade eine Tür hinter mir? Ist sie so schnell? Wird sie mich gleich an der Schulter packen und mir wieder ins Gesicht schlagen? Ich muss es bis zum Auto schaffen, aufschließen und … wo ist der verdammte Autoschlüssel? Er muss in meiner rechten Tasche sein, er muss … und auf einmal spüre ich den Generalschlüssel zwischen meinen Fingern, ich erkenne ihn an Größe und Form. Vorhin habe ich ihn ja in meiner Handfläche gedreht, immer im Kreis, das kann nur er sein!
    Gut, Planänderung. Ich stürze mit dem Schlüssel in der Hand auf die große, mit alten Zeitungen verklebte Glastür zu. Ruhig jetzt, Lena! Ruhig jetzt! Schlüssel ins Schloss und umdrehen, alles kein Hexenwerk. Ganz ruhig jetzt! NIMM DICH ZUSAMMEN!
    Ein Klacken und die Tür geht auf. Ich ziehe den Schlüssel ab, drücke von innen die Tür zu und schließe ab. Als ich kaltblütig den Schlüssel aus dem Schloss ziehe, da könnte ich platzen vor Stolz. Ich bin nicht das kleine, hysterisches Mädchen, das ich manchmal glaube zu sein. Das hysterische Mädchen hätte erst den Schlüssel fallen lassen, ihn dann im Schloss abgebrochen (alternativ: das Schloss überhaupt nicht getroffen) und wäre dann schreiend im Kreis gelaufen. Ich aber habe die verdammte fucking Kontrolle behalten. Bravo Lena! Gut gemacht! Als ich mich umdrehe, da mache ich eine interessante Beobachtung. Die Gesichter von
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