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Viereinhalb Wochen

Viereinhalb Wochen

Titel: Viereinhalb Wochen
Autoren: Constanze Bohg
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geworden.«
    Wieder rollten mir die Tränen über die Wangen. Es war ein bewegender Moment in unserer alten Kirche. Dieser Tag war ein Festtag für uns, ein freudiger Tag, und doch stellte ich mit zunehmender Verwunderung fest, wie nahe am Wasser ich gebaut war, was sonst nicht meiner Art entspricht. Nach der Predigt kam Watson zu uns, legte seine Hände auf meinen Bauch und betete für uns und für unser Kind. Mir rannen die Tränen in Bächen über die Wangen, und ich tat nichts, sie zurückzuhalten.
    Auf dem Rückweg nach Berlin saßen wir beide still im Auto nebeneinander, Hand in Hand. Wir starrten in das wechselhaft gewordene Maiwetter und hingen unseren Gedanken nach.
    Unterwegs sah ich erst einen Regenbogen, dann noch einen. Beim dritten Regenbogen lief ein Schauer durch mich hindurch. Diese Anhäufung kam mir wie ein Zeichen vor – doch wofür brauchte ich an diesem Tag solch ein Zeichen? Ich musste an die Bibel denken, an den Regenbogen als Symbol für das Versprechen Gottes, die Menschheit nie wieder mit einer Sintflut zu strafen. Aber gleich drei Regenbogen?
    Sinnierend starrte ich weiter hinaus, bis auf der Höhe des Hermsdorfer Kreuzes auf der A 9 ein riesiges Plakat am Straßenrand in mein Blickfeld geriet:
    »Ich halte dich. Gott.«
    Wieder durchfuhr es mich. Irgendetwas beunruhigte mich, das fühlte ich. Ich spürte eine Veränderung, ich merkte instinktiv, dass etwas auf mich zukam, das ich nicht benennen konnte. War das ein Wink Gottes? Wieder und wieder dachte ich an den Feindiagnose-Termin, der uns am nächsten Tag bevorstand. Ich dachte an unser neues Leben in Berlin, an die Wohnungssuche, an die Jobsuche. Ich dachte an unser Kind, aber ich konnte mir auf all das keinen Reim machen. Endlich in unserer WG in Berlin angekommen, schlief ich nur schwer ein.
    Noch vor dem Pränataldiagnostik-Termin musste ich am nächsten Morgen zur Physiotherapie, wegen meiner Rückenschmerzen. Auf dem Rückweg zur Wohnung merkte ich wieder, wie aufgewühlt ich war. Ich stöpselte mir die Kopfhörer meines MP 3 -Players in die Ohren, um Abstand von der Welt rund um mich herum zu bekommen, zu den Menschen, die sich schon auf dem Weinbergsweg tummelten. Es half nichts, wieder liefen mir die Tränen über die Wangen. In diesem Moment bekam ich eine SMS von meiner Freundin Susel, die von unserem bevorstehenden Termin wusste:
    Viel Spaß beim Babywatching!
    Ich musste lächeln und gleichzeitig weinen. In meiner Not rief ich sie an. »Ich habe solche Angst, dass etwas nicht in Ordnung ist«, schluchzte ich und erzählte ihr von dem Schild an der Autobahn und von den drei Regenbogen.
    »Hab keine Angst«, ermutigte sie mich, »mach dir keine Sorgen.«
    Das half mir. Ich lief noch eine Runde um den Block, weil ich Tibor nicht so aufgelöst gegenübertreten wollte. Was hatte ich für einen Grund dafür? Warum sollte ich auch noch meinen Mann beunruhigen?
    Als ich zurückkam, saß er glücklicherweise konzentriert am Computer und merkte nichts von meiner Unruhe. Ich zog mich ins Schlafzimmer zurück und vertraute meine Sorgen meinem Tagebuch an.
    Heute ist Feindiagnose-Termin. Ich bin den ganzen Morgen am Hadern, am Weinen, am ›An Gott Abgeben‹. Ich habe Angst, dass der Professor etwas findet, was anormal ist. Susel hat mich ermutigt und betet für mich. Gestern auf der Rückfahrt von Hof habe ich drei Regenbogen gesehen, und auf der Autobahn stand ein riesiges Plakat, auf dem stand: »Ich halte Dich. Gott.« Wie krass ist das denn, bitte? Das Baby hat Gott in meinen Bauch getan – er wacht darüber, lässt es wachsen und passt auf es auf. Das ist alles nicht in meiner Hand. Aber dieses Ringen ist so krass. Dieses Loslassen – loslassen bis in den Tod. Ich lese ab und zu von Fehlgeburten im sechsten Monat oder andere schlimme Sachen – aber mein Verstand sagt: »Nicht in deiner Hand!« Ist auch so. Das ist in Gottes Hand alleine! Auch gut, dass ich diese Sorge und Sorgfaltspflicht an Ihn abgeben muss. Sein Baby!
    Mittags fuhren wir mit der Straßenbahn in die Friedrichstraße im Zentrum Berlins. Dort befindet sich die Praxis von Professor Chaoui, wo ich meinen Feindiagnostik-Ultraschall-Termin hatte. Kaum waren wir in dem modernen Gebäude, schnürte es mir die Kehle zu. Ich musste mich an Tibor klammern, der meine Aufregung besorgt registrierte. In der Praxis angekommen, blieb mir die Luft weg. Alles hier sah edel und nüchtern und kalt aus. Selbst die riesigen Blumen auf dem Empfangstresen strahlten eine
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