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Viereinhalb Wochen

Viereinhalb Wochen

Titel: Viereinhalb Wochen
Autoren: Constanze Bohg
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zusammen durch.«
    Das muss Tibor gesagt haben, keine zwei Stunden nachdem Gott uns mitgeteilt hatte, dass unser Kind sterben wird. Nein, Professor Chaoui hatte uns das gesagt. Ich konnte nichts mehr geordnet bekommen in meinem Kopf.
    »Schatz, ich bin davon überzeugt, dass wir eine große, glückliche Familie sein werden.«
    Wieder Tibor.
    »Ja, da bin ich mir auch sicher.«
    Der Satz kam wohl aus meinem Mund. Wir stiegen nicht gleich in die Straßenbahn, sondern gingen ein paar Schritte Richtung Fluss, zur Spree, dort würde es wohl ein bisschen ruhiger sein. Mechanisch zog ich mein Telefon heraus und rief Watson und Erika an, denen wir gestern noch in Hof überglücklich in den Armen gelegen hatten. Ich berichtete in nüchternen Worten von der Katastrophe, aus Verzweiflung. Was hätte ich sonst tun sollen? Mir fiel einfach nichts anderes ein, als zu telefonieren. Manchmal funktioniert der Mensch einfach so, ohne bewusste Steuerung. Auch ich funktionierte wie fremdgesteuert, ich stand unter Schock. Ich weiß nicht mehr, was Watsons Antwort war, vermutlich tröstende Worte, die ich nicht in mir aufnehmen konnte.
    Ich rief auch bei Susel an. Der hatte ich schon aus der Praxis eine SMS geschickt, wie eine ferngesteuerte Maschine:
    Alles ganz schlimm rein menschlich gesehen hoffnungslos ich melde mich später
    Bei Susel wusste ich, dass sie bei mir war, jeden Moment dieses Tages. Ich wusste, dass sie mit mir mitfieberte, mit unserem Kind und seinem Schicksal. Auch ihr erzählte ich nüchtern von dem, was vorgefallen war, und ergänzte trotzig: »Ich bin gerne bereit für ein Wunder. Wenn Gott ein Wunder tun will an mir – bitte schön!«
    Meine Kampfeslust war allerdings nur äußerlich, innerlich war mir nicht nach Kämpfen zumute, eher nach Heulen. Das taten wir dann auch zusammen, am Telefon, Susel und ich.
    »Das kann doch alles nicht wahr sein.« Die Worte, die sie fand, waren meinen sehr ähnlich.
    Mechanisch gingen wir schließlich zur Straßenbahnhaltestelle hinüber, an der wir vor ein paar Stunden in der Friedrichstraße angekommen waren. Versteinert warteten wir auf die Bahn nach Hause, Arm in Arm. Das war die einzige Hilfe, sich im andern geborgen fühlen. Ineinander hätten wir kriechen können, so innig waren wir. Am Zionskirchplatz, unserer Haltestelle, mussten wir in das nächste Menschenmeer eintauchen, diesmal eines aus lauter jungen Menschen und Studenten, Schwangeren und Müttern mit Kinderwagen und Latte-macchiato-Gläsern auf den Cafétischen vor sich, die übliche Prenzlauer-Berg-Mischung eben. Als Fremde huschten wir in unsere WG , so schnell wir konnten.
    Wie ein Schlag traf uns das Bild, das sich uns in der Küche darbot: Dort lag der geöffnete Brief, den wir am Vortag der WG hingelegt hatten, von wegen unseres Elternglücks. Unsere Mitbewohner wussten nur noch nicht, dass unser Kind dem Tod geweiht war.
    Heulend ließ ich mich aufs Bett fallen, Tibor gleich nach mir. Es reichte nur zum Zuziehen der Vorhänge, um den sonnigen Frühlingstag draußen zu lassen, das Glück, den blauen Himmel, die Frühlingsluft. Es reichte noch dazu, die Handys auszuschalten, die Türen zu schließen. Nur keine neuen Gratulanten, keine Nachfragen der Mütter, wie es denn gehe, keine Besucher.
    »Unsere Erdbeere, unsere Erdbeere!«
    »Mein Baby! Mein Baby!«
    Stundenlang lagen wir auf dem Bett, von Weinkrämpfen geschüttelt. Gegen Abend summte es schon in meinem ganzen Gesicht. Es vibrierte wie kurz vor einem Nervenzusammenbruch, vor der Hysterie. Das ist ein Nervenzusammenbruch, dachte ich noch, ich stehe das nicht durch.
    Abends schickte ich eine SMS an meinen Bruder, der mittlerweile nicht mehr auf unserer Gästematratze wohnte, sondern in der WG einen Stock tiefer.
    Komm, wir müssen Dir etwas sagen.
    Sebastian kam bereits mit versteinerter Miene. Er wusste vom heutigen Ultraschalltermin, er hatte die SMS gelesen, ihm reichte ein Blick auf uns, um alles zu wissen. Wir erzählten ihm von der Diagnose, alle drei in unserem kleinen Wohnzimmer, alle drei heulend. Mein Bruder war am Wochenende zu Hause gewesen und hatte schon das erste Babygeschenk von meiner Schwester mitgebracht. Es war ein mit Kirschkernen gefüllter Plüschelefant, der Bauchweh oder Blähungen von Säuglingen lindern sollte. Wutentbrannt warf ich das nutzlos gewordene Teil quer durch den Raum.
    »Was soll ich damit? Mein Kind wird nie Bauchweh haben! Mein Kind wird sterben!«
    Ich wollte den Elefant sofort in den Müll stopfen, doch bevor
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