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Vier Tage im November: Mein Kampfeinsatz in Afghanistan (German Edition)

Vier Tage im November: Mein Kampfeinsatz in Afghanistan (German Edition)

Titel: Vier Tage im November: Mein Kampfeinsatz in Afghanistan (German Edition)
Autoren: Johannes Clair
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niemals zu einem Brand mitgenommen wurde. Fast wöchentlich sah ich Bekannte und Freunde aus meiner Kaserne in die Einsatzländer aufbrechen. Ich wollte sie nicht allein gehen lassen. Deshalb fragte ich meinen Kompaniechef, ob ich gehen dürfe. Er überlegte einen Tag und unterstützte schließlich meinen Wunsch. Ich fing an, Gesuche an meinen Bataillonskommandeur zu schreiben, denn dieser musste als nächsthöherer Vorgesetzter entscheiden. Ich wurde enttäuscht. Mein Kommandeur lehnte ab. Trotzdem nervte ich ihn ein Jahr lang. Selbst als er durch einen Nachfolger ersetzt wurde, war das Ergebnis das Gleiche. Ich war frustriert. Ich fragte mich, wie man jemandem, der in den Einsatz musste, aber nicht wollte, erklärte, dass es Soldaten gab, die wollten, aber nicht durften. Und schließlich wollte ich doch nur das Eine: selbst erleben, was es bedeutete, diese Verantwortung, diese Bürde zu tragen.
    Zu dieser Zeit wurde Muli drei Monate lang als zusätzlicher Ausbilder in unsere Rekrutenkompanie versetzt. So lernte ich ihn kennen. Er sprach davon, dass seine Heimatkompanie bald nach Afghanistan gehen würde. Durch unsere Zusammenarbeit lernten wir uns schätzen und irgendwann fragte er mich, ob ich mir vorstellen könne, mit ihm in den Einsatz zu gehen. Der Rest war nur eine Formalität. Absurd, wie einfach es »hintenherum« war, wenn man bedachte, wie lange ich auf offiziellem Weg versucht hatte, ins Ausland zu kommen. Ich wurde zunächst auf Probe in die Kampfeinheit kommandiert.
    Skeptische Blicke empfingen mich am ersten Tag. Ein Neuer ist immer erst einmal verdächtig. Nach einer halben Woche ging es für zwei Wochen auf einen Truppenübungsplatz. Würde ich mich dort beweisen können? Um schließlich das zu machen, was ein Soldat macht.
    Als der Einsatz langsam näher rückte, hatten Muli und Nossi angefangen, uns die Wahrheit zu sagen. Ihr werdet dorthin gehen und nicht mehr auf Scheiben schießen. Ihr werdet auf Menschen schießen. Und Menschen werden auf euch schießen, hatten sie uns gleich bei der ersten Besprechung klargemacht. Auf Menschen schießen. Auf Menschen schießen.
    Dieser Satz hallte mir an jenem Abend sehr lange im Kopf nach. Sie werden auf euch schießen, ihr werdet auf sie schießen. War es das, was ich wollte? War ich bereit dazu, einem Menschen das Leben zu nehmen, ihn zu töten? Wie würde ich reagieren, wenn es so weit kommen sollte? Musste es so weit kommen? Warum fand ich keine Antwort auf diese Fragen?
    Jeder von uns ging anders mit dem Thema um. Einige hängten sich einfach an die Meinung derjenigen, die immer das Wort führten, immer einen Kommentar oder eine Meinung parat hatten, egal ob sinnvoll oder nicht. Einige wurden still, wenn das Thema angesprochen wurde. Und andere schienen sich viele Gedanken darüber gemacht zu haben. Eines Abends saß ich mit Jonny auf seiner Stube. Jonny war jünger als ich, hatte seine Lehre auf dem Bau gemacht und auch lange dort gearbeitet. Zur Armee sei er gegangen, um eine neue Herausforderung zu bekommen, hatte er gesagt. Er war sehr schlank, hatte aber einen wahnsinnig drahtigen Körper. Ich hatte noch niemals vorher jemanden so verbissen trainieren sehen wie ihn. Er war immer in Bewegung. Kraftraum, laufen, schwimmen. Jonny wirkte auf mich wie ein getriebener Hund. Aber dazu war er sehr lern- und wissbegierig. Wann immer er konnte, bildete er sich selbst weiter, eignete sich das Wissen an, von dem er meinte, es brauchen zu können. Er sagte immer gerade heraus, was er dachte, und das war bemerkenswert. Das machte ihn zu einem Kameraden, dem man bedingungslos vertrauen konnte, weil er nie falsch war. Auf andere mag er vielleicht primitiv gewirkt haben. Aber ich wusste um seine Fähigkeit, Situationen und Menschen zu analysieren. Unter der Oberfläche war er ein stiller Denker und trotzdem sehr impulsiv. Ein Freund. Von allen in der Gruppe war er mir der liebste. Unser Verhältnis war von großem gegenseitigem Respekt geprägt, wir hatten Achtung voreinander.
    An jenem Abend auf seiner Stube sprachen wir darüber, ob es uns fertigmachen würde, einen Menschen zu erschießen.
    Da sagte er Folgendes: Wenn ein Mensch mich erschießen will, ist es mir egal, ob er schwarz, weiß, dick, dünn, alt, jung oder Familienvater ist. Wenn er auf mich schießt, macht er sich zu meinem Feind. Und dann werde ich meinen Feind töten.
    War es wirklich so einfach? Ich fuhr sehr nachdenklich nach Hause. Was wäre, wenn der Feind eine schwangere Frau war? Oder ein
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