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Vier Tage im August

Vier Tage im August

Titel: Vier Tage im August
Autoren: Silvio Blatter
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wischte die Gedanken beiseite. Aber die Vorstellung, nun Jara anzurufen, befriedigte ihn ebenso wenig. Sobald er sich mit seiner Polizistin verbündete, würde sie sich an ihren Chef wenden. Die Polizei übernähme das Kommando, und der Befehl zur Besetzung des Friedhofs würde ausgegeben, der ganze Polizeiapparat würde in Gang gesetzt.

DER KLINGELTON SEINES HANDYS riss Tom aus seinen Betrachtungen. Er befürchtete Unannehmlichkeiten. Statt der Entwarnung, statt einer SMS von Ivo mit dem Inhalt, René Spring sei informiert, er habe dem vierten Mann im Boot seine Bedrohung mit aller Schärfe klargemacht, kam ein Anruf von Felix.
    Geoff ist gestorben.
    Was?
    Ich war im Zwinger, sagte Felix mit erstickter Stimme, und hab es nicht gemerkt, Geoff war einfach plötzlich tot.
    Das tut mir leid, wollte Tom trösten, ich weiß gar nicht, was ich sagen soll, der Tierarzt hat den Tod als schlimmsten Fall in Betracht gezogen, ein multiples Organversagen…
    Tom merkte, wie nüchtern seine Formulierung klang, wie wenig sie dem traurigen Ereignis gerecht wurde, auch wenn sie die Ursache genau erfasste.
    Es begann zu stinken, erzählte Felix, du alter Furzer, foppte ich Geoff und erschrak. Eine rote Blase quoll aus seinen Nasenlöchern, und Fliegen saßen auf seinen Augen.
    Bist du allein?
    Ja, Emily trainiert in der Schwimmhalle. Ivo hat sie hingefahren und ist jetzt, glaub ich, bei Swiss-Surface.
    Felix schluchzte auf.
    Kommst du klar, fragte Tom.
    Nein.
    Soll ich vorbeikommen?
    Ja.
    Tom klappte das Handy zu und steckte es ein. Dann schaute er sich nochmals um, kein Mensch in Sicht, vor allem kein Hüne, der auf das Grab von Alice Braun zustrebte. Er bückte sich und hob den Himmelsstein auf. Gleich stellten sich Erinnerungen ein. Wie oft hatten Tom und Emily doch diesen etwas unheimlichen Meteoriten in die Hand genommen und gerätselt, woher er denn stammte. Die dreieckige Form hatte ihm vielleicht geholfen, die lange Reise gut zu überstehen. Oder er war unterwegs zu einer eigenartigen Pfeilspitze geformt worden. So oder so, der Stein war nicht im Weltall verschollen, sondern auf der Erde gelandet. Er hatte eine Distanz überwunden, die zu bewältigen einem Menschen unmöglich war, niemals könnten Tom und Emily eine derart lange Reise schaffen. Vielleicht hatte der Stein eine längere Strecke zurückgelegt, als alle Reisenden bisher mit Bahn, Auto, Flugzeug, zu Pferd und zu Fuß zusammengerechnet. Eine extreme Kilometerzahl, um am Ende, nachdem er Galaxien durchquert und Jahrhunderte durch den Raum geflogen oder gefallen war und die Lufthülle der Erde unversehrt durchdrungen hatte, vorübergehend in Toms Hosentasche zu verschwinden.
    Tom verließ den Friedhof durch das weit offen stehende Gittertor. Felix brauchte ihn, es war viel wichtiger, zu Felix zu fahren, ihm beizustehen und Geoff zu betrauern, als sich auf Verbrecherjagd zu begeben. Für ihn war der Fall gelöst. Für die Arbeit, die nun die Polizei zu leisten hatte, fehlten ihm Geduld und Mut und das Knowhow.
    Er ging zum Parkplatz.
    Während der Fahrt zum See quälte er sich mit der Frage, ob es ein Fehler gewesen war, den Meteoriten von Alice Brauns Grab zu entfernen und mitzunehmen. Er beschloss, niemandem etwas davon zu verraten, auf keinen Fall eine Beichte abzulegen, sondern wie ein Grabräuber zu schweigen und den Stein für sich zu behalten. Nein, er würde Felix einweihen. Er würde ihm die traurige Geschichte anvertrauen, ihm den Stein, der jetzt wie ein Schlüsselstück in sein Puzzle passte, schenken. Der Himmelsstein hat dasselbe spezifische Gewicht wie nun dein Herz, könnte er zu Felix sagen, vielleicht tröstet er dich.
    Auf langen, geraden Strecken blickte Tom immer wieder in den Rückspiegel. Der Gedanke, er könnte verfolgt werden, kam ihm abwegig vor; aber ganz ohne Bedenken schien er nach dem Friedhof auch nicht zu sein. Er hatte sich schon wohler gefühlt. Nach jedem Schalten, wenn er die rechte Hand wieder um das Steuerrad legte, bemerkte er die Nummer, die Jara ihm mit dem Kugelschreiber auf die Innenseite seines Handgelenks geschrieben hatte. Tom kannte die Zahlenfolge inzwischen auswendig. Er fuhr in den Wald hinein. Am See würde er mit Felix zusammen Geoff begraben und dann diese Nummer anrufen. Ja. Eins nach dem anderen. Zuerst der Hund, dann der Inspektor. Genau diese Reihenfolge gedachte Tom einzuhalten.

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