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Vier Tage im August

Vier Tage im August

Titel: Vier Tage im August
Autoren: Silvio Blatter
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überhaupt. Seine Gedanken verhielten sich wie Schmeißfliegen, dicke, pfeilschnelle Brummer, die sich nicht fangen ließen.
    Leo konnte beim Autofahren ins Grübeln kommen. Er fuhr in die Berge. Der geräumige Toyota bot nicht nur ihm reichlich Platz, sondern auch all den Gespenstern, die ungebeten eingestiegen waren.
    Fahr nicht so schnell, mahnte ihn Alice.
    Leo drosselte das Tempo.
    Jemand hat den Stein weggenommen, sagte er.
    Alice schwieg.
    Sie sind mir also auf den Fersen.
    Vielleicht war es ein Kind, sagte sie.
    Ab und zu, wenn er Alice versorgt und ins Bett gelegt und an der in den letzten Wochen für die Nacht notwendigen Maschine angeschlossen hatte, war er bei gelöschtem Licht noch eine Weile bei ihr geblieben. Er wartete, bis sie eingeschlafen war; er wusste, dass sie das spürte. Auch Alice schläft, hatte er einem verständnislosen Arzt einmal auseinandergesetzt, sehen Sie das denn nicht? Der Arzt hatte ihn für einen harmlosen Idioten gehalten; Leo konnte es seinem Lächeln entnehmen, in seinen dummen Augen lesen. Im abnehmenden Licht hatte sich Alice verändert, sie wurde fahler, durchsichtiger, blutleer, spitzer, so kam es ihm mitunter vor, er könnte ihre Knochen zählen, und die Haut war dünn geworden, empfindlich wie Seidenpapier. Sie hielt nicht mehr lange durch, er wusste das damals schon überdeutlich, Alice war zur Abreise bereit. Leo hatte sich geschworen, ihr dabei zu helfen, sie zu unterstützen.
    Ich lasse dich nicht im Stich.
    Ich werde dich begleiten.
    Er hatte die Autobahn verlassen, fuhr mit seinem großen Toyota durch eine raue Gegend, in der Wald und Fels vorherrschten. Ein Bach, aus dem Steinbrocken herausragten, lief neben der Straße her, und in der Schlucht, die er durchquerte, wäre der Himmel nur zu sehen, wenn Leo ausstiege und den Kopf in den Nacken legte. Das Autoradio hatte in dieser Gegend einen schlechten Empfang. Einzelne Häuser und Schuppen standen in verschatteten Zonen, auf dem Gelände einer Sägerei wurden geschälte Baumstämme gestapelt. Pferde standen in einer Koppel. Flutlicht beleuchtete einen kleinen, von einem Gitter umzäunten Platz, Kinder spielten in dem Käfig Ball.
    Ohne einen großen Aufwand betreiben zu müssen, hatte Leo herausgefunden, wo René Spring, der Berater, mit seiner Familie lebte. Überhaupt hatte er nach der Wende, nach der Eingebung, die Genua für ihn bedeutete, beinahe fiebrig erforscht, auf welche Weise denn das Leben der vier Männer verlaufen war, die sein Leben aus der Spur geworfen und Alices Leben zerstört hatten. Es ging den Herren prächtig; sie hatten gute Jahre.
    René Spring arbeitete in seinem Haus in Sils Maria. Sein Büro erstellte Gutachten für Bauvorhaben in den Bergen, für Brückenbauer vor allem. In seiner Freizeit stieg René Steinböcken ins Felsgebiet hinterher, Leo stellte sich vor, wie lächerlich er mit dem Feldstecher einen seltenen Vogel suchte, er hatte ihn bisher nur gehört, seinen Gesang erkannt, nun wollte er ihn auch sehen.
    Leo würde im Wald oder in einer Geröllhalde auf René Spring treffen. Vielleicht geriete Leo sogar selbst zuerst in den Feldstecher des Mannes, den zu töten er die feste Absicht hatte. René Spring würde ihn nicht erkennen, René sähe einen massigen, glatzköpfigen Mann. Mit dem Feldstecher könnte er die Schweißperlen auf Leos Oberlippe wahrnehmen. Im steilen Gelände war Leo schlecht zu Fuß, er würde schwerfällig wirken. Doch wie scharf René Spring den Feldstecher auch einstellte, das Messer, das Leo bei sich trug, bekäme er nicht zu Gesicht.
    Ich werde das alleine erledigen, sagte er zu Alice.
    Ja, antwortete sie, ich warte auf dich.
    Wir treffen uns am späten Nachmittag wieder.
    Im Zoo?
    Ich werde beim Nashorn auf dich warten.
    Bei einer Tankstelle, die wie eine leuchtende Insel in der dunklen Landschaft lag, hielt er an. Im Shop kaufte Leo einen Laib Brot und eine Sechserpackung Bier.
    Das Ereignis, das alles nochmals veränderte, der turbulente Zwischenfall auf einer Straße in Ligurien, aus dem heraus Paul Fontana wieder in sein Leben geplatzt war, hatte Leo nicht kommen sehen. Er hatte es sich auch nicht gewünscht. Ebenso wenig die anschließende Irrfahrt des roten Fiat Bravo, den er trotzdem nicht entwischen ließ. Leo war dem ahnungslosen Paar gefolgt, ohne zu verstehen, warum sie derart kopflos durch die Gegend brausten, um schließlich in Genua zu landen, in dieser unübersichtlichen Stadt, wo er, Leo, immer mehr in Rage geraten war, bis ihm Alice
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