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Versunkene Gräber: Kriminalroman (German Edition)

Versunkene Gräber: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Versunkene Gräber: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Elisabeth Herrmann
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diesem Moment, dass es kein Zurück gibt. Krystyna nicht, den Schlüssel wie eine Waffe erhoben, und der alte Mann nicht, der in letzter Sekunde in der hastig aufgerissenen Nachttischschublade nach seinem Taschenmesser greift.

5
    Drei rostige Fahrräder in einer Badewanne. Die erste und einzige Skulptur, die meine Mutter jemals geschaffen hatte, war nicht vom Fleck weg für die Dauerausstellung im Hamburger Bahnhof gekauft worden. Sie stand immer noch am Fuße eines Gebirges aus ausrangierter Keramik in einem Hinterhof in Mitte. Im Lauf der Jahre war die gewagte Konstruktion zudem durch eine Patina aus Schmutz und Korrosion derart verfremdet worden, dass sie durchaus als Spätwerk eines wahnsinnigen Giacometti-Jüngers durchgehen konnte. Ich bin mir bis heute sicher: Stünde sie im deutschen Pavillon in Venedig, sie wäre ein beliebtes Fotomotiv.
    Man muss sich das so vorstellen: Bis zum Erreichen des siebzigsten Lebensjahres unterschied sich meine Mutter in nichts von ihren verblühenden Altersgenossinnen. Dann trat Frau Huth in ihr Leben. Wer ihr den geheimen Auftrag gegeben hatte, Mutters bescheidenes Glück zwischen Zierfischen und Sudoku-Rätseln zu pulverisieren, ist bis heute ein großes Geheimnis. Die Energie, mit der sie auf Mutters Couch Wurzeln schlug und sich wie mit Saugnäpfen an ihr Leben heftete, war erstaunlich. Vor allem, weil sie ihr im Haushalt und überall dort, wo eigentlich eine helfende Hand gebraucht wurde, fehlte. Es dauerte nicht lange, und Frau Huth malte ihren Namen auf das Klingelschild, schleppte Mutter zu wilden Vernissagen und merkwürdigen Atelierfesten und brachte sie schließlich dazu, ihre Wohnung am wunderschönen, seniorenfreundlichen Mierendorffplatz aufzugeben, um auf Whithers Schutthalde zu ziehen. Dass der Mann mindestens zehn Jahre jünger war und zudem auch noch einer der renommiertesten zeitgenössischen Komponisten, machte die Sache für mich nicht leichter. Der Verdacht des Konkubinats wurde zwar von beiden empört zurückgewiesen, blieb tief in mir drin aber bestehen. Ich wusste nur nicht, wer mit wem.
    Da es für die Jahreszeit zu kalt und zu nass war, hatten wir uns am Abend in Whithers Loft in der Mulackstraße verabredet. Auch diese Gegend hatte sich verändert. Wo früher Off-Theater und illegale Kellerkneipen dem Viertel Leben eingehaucht hatten, drängten sich nun Designerläden und verkitschte Touristenrestaurants. Die Mieten waren in derselben Geschwindigkeit gestiegen, wie Flugzeuge die Schallmauer durchbrachen. Eigentumswohnungen konnten normale Menschen im unteren sechsstelligen Einkommensbereich nicht mehr bezahlen.
    An die Zeit davor erinnerten nur noch die Horden halbwüchsiger Studenten aus aller Herren Länder, die jeden Pflasterstein umdrehten, weil sie darunter den Mythos Berlin vermuteten. Außerdem der eine oder andere unter Denkmalschutz gestellte Hinterhof. Das Haus Schwarzenberg, die Tacheles-Ruine, Whithers Loft.
    Der Künstler verbrachte die meiste Zeit des Jahres in Kanada und hatte den beiden Damen die Hälfte seiner riesigen Werkstatt überlassen, wo sie es sich mit Spitzendeckchen und Travertin-Couchtisch gemütlich gemacht hatten. Mittlerweile gab es auch eine Trennwand zum Arbeitsbereich, sodass die gewaltigen tönenden Monstren, die Whithers quasi hinter ihrem Rücken zusammenschweißte, nicht mehr zu sehen waren.
    Mutter kochte gerade einen Tee. Er roch, als hätte sie Unkraut in einem Straßengraben gemäht und in den Kessel geworfen. Hüthchen deckte den Tisch in der Küche. Es war kurz vor acht, als ich eintraf. Kevin war noch nicht da.
    »Und?«, fragte ich. »Gibt’s was Neues?«
    Wir hatten eine strenge Aufgabenverteilung ausgemacht. Mutter und Hüthchen sollten herausfinden, wann Marie-Luise zum letzten Mal beim Mieterverein Beratungsstunden gegeben und ob sie dort eine Adresse hinterlegt hatte. Kevin wollte sich in der Hausbesetzerszene umhören, die derart dezimiert worden war, dass die Sache an einem Nachmittag erledigt werden konnte. Außerdem hatte er versprochen, an Jaceks Werkstatt vorbeizufahren und nachzusehen, ob der (von Frauen, nur von Frauen) begehrteste Automechaniker Berlins dort noch seine Sprechstunden abhielt.
    Mir war, nachdem im Melderegister als Marie-Luises Wohnsitz immer noch die Dunckerstraße stand, nur eine Kneipentour eingefallen. Auf den Spuren unserer bewegten Vergangenheit sozusagen. Ich wollte zivilisiert beginnen und in der »Letzten Instanz« durch den Genuss der berühmten Eisbeinsülze eine
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