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Versunkene Gräber: Kriminalroman (German Edition)

Versunkene Gräber: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Versunkene Gräber: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Elisabeth Herrmann
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Schlaf, süß wie Ellis »Gute Nacht, Herzenspapa!« … Erinnerungen. Vorbei. Nachts verstecke ich mich vor der Miliz. Nur kurzer, wilder Schlaf mit düsteren Träumen. Dann glimmt das Feuer im Kamin. Dunkler roter Wein funkelt im Glas wie flüssiger Rubin. Du sitzt im Stuhl neben dem Feuer. Dein liebes Gesicht über die Nadeln gesenkt, nie ruhten deine Hände. Immer warst du fleißig, hast Haus und Hof geführt mit strengem und doch liebevollem Blick. Ich sehe zum Fenster hinaus auf unser Land, so weit das Auge schauen kann …
    Der Himmel ist schwarz, der Atem rasselt in den Lungen. Das Land, es brennt. Schwarzer Rauch beißt in den Augen. Schüsse und Schreie, und wieder haben sie ein paar arme Seelen gefunden und aus den Kellern getrieben, gleich an die Wand gestellt oder zur Miliz gebracht für die Transporte …
    Was weißt du, mein Lieb, von der Front? Sie ist weitergezogen, und was danach kam, ist grausiger und kälter als alle Vorstellung. Russen und Polen – sie konnten die Toten nicht alle bestatten, lieb Rosa. Bei manch guten Menschen bekam ich Unterschlupf, und wenn es nur ein Bett im Stroh und eine Decke waren, um nicht zu erfrieren. So kam ich nach Johannishagen, als der schlimmste Frost vorüber war. Ich will es nicht schreiben, doch du musst wissen, dass du zur rechten Zeit gegangen bist. Wilhelm fand ich im Brunnen, aufgedunsen und fliegenumschwirrt. Ich erkannte ihn an seinen Schuhen, die hat man ihm gelassen, warum, weiß der Himmel oder der Teufel. Seine Hedwig, die Wasserpolnische, Jaga hat er sie doch immer neckend genannt, wenn er ihr in die roten Wangen gekniffen hat? Jaga hat sich erhängt im Torhaus. Ich hatte noch nicht die Kraft, sie abzuschneiden. Die Kinder … beten wir, dass die Kinder einen guten Herrn, ein tapferes Herz, einen kräftigen Karren gefunden haben. Ich habe nicht nach ihnen gesucht. Sie hatten einen Säugling, nicht wahr? Er wird eine Brust gefunden haben, mein Lieb. Es ist nichts verloren. Wir sind ein starkes Volk, das den Sieg verdient. Zumindest nicht eine solche entsetzliche Niederlage. Du fragst, mein Lieb, was aus deinem Soldaten geworden ist? Deinem späten Helden, den sie, im zweiundfünfzigsten Jahr, noch gezogen haben? Er ist dem Ruf des Vaterlandes gefolgt bis hin zur Schleife, wo sie die alten Bunker wieder ausgehoben haben. Dort sollten wir den Russen aufhalten. Gott möge mir verzeihen: Es war, wie auf die Feuersbrunst zu spucken … Sie werden mich hängen, wenn dieser Brief in falsche Hände kommt.
    So schwöre ich, vor dir, den Kindern, vor Gott dem Herrn: Sobald ich weiß, wem ich mich anschließen kann, ich würd es tun! Da ist nichts mehr als Auflösung und wilde Flucht. Dem Volksschutz vielleicht? Es gibt ihn nicht! Und niemand, der ihn anführt! Alle sind fort. Geflohen, verschleppt, erschossen, erhängt. Tumulte in den Straßen, polnische Miliz und Rote Armee überall! Die Sowjetflagge und der weiße Adler, gehisst am Rathaus von Grünberg, die Männer, Alte und Kinder in Lager gebracht, keiner weiß, wohin, verloren ist es … Herr, vergib mir, ich bin die Kugel nicht wert, doch ich muss es sagen … verloren ist alles … Ich würde mich jedem Haufen anschließen, der in der Flagge noch Ehre und Vaterland führt, vielleicht über die Oder gen Berlin, wo sich der Führer dem Feind so tapfer entgegenstellt.
    Meine Hände zittern, lieb Rosa. Sie zittern wie Espenlaub. Siehst du die Tuscheflecken? Die verstrichenen Worte? Zwei Tage habe ich für diesen Brief gebraucht. Und selbst das ist eine Lüge. Nur in den Nächten wage ich mich aus meinem Versteck. In den Nächten schleiche ich mich hinüber ins Haus, durch die leeren, verwüsteten Räume. Keiner darf mich sehen, keiner hören, denn fremde Leute sind nun in Johannishagen und kommen immer wieder in die Siedlung, um zu holen, was zu holen ist, aber kurz vor Morgengrauen ist es still, und das ist meine Stunde. Die Kerzen aus dem Vorrat unter den Dielen, den du noch angelegt hast in deiner weisen Vorsicht. Wie hab ich dich geschimpft! Fast geschlagen hätte ich dich! Nun möchte ich dir die Hände küssen, jene Hände, die so viele Kerzen bündelten, die Schmalztöpfe vergruben, den Schinken ins Tuch wickelten. Ich mein es doch nicht so, hast du geflüstert. Es ist doch nur … wir wissen doch nicht – und ich fühlte mich verraten von dir. Das war die letzte Weihnacht, Weihnacht 1944. Da kam schon böse Kunde aus Lublin, und ein Flüstern machte die Runde … Ich wollte es nicht
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