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Verschwundene Schätze: Roman (German Edition)

Verschwundene Schätze: Roman (German Edition)

Titel: Verschwundene Schätze: Roman (German Edition)
Autoren: Miklós Bánffy
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Jahrhundert jüngeren Siebenbürger unbestreitbar. Auf gleiche Weise wie Tolstoi ging es Bánffy mit seiner Romantrilogie darum, eine bedeutende Zeitspanne in der Geschichte seiner Heimat mit literarischen Mitteln für die Nachwelt lebendig und begreifbar zu machen.
    Nun wäre es ungerecht, aufgrund des bisher Gesagten Bánffy für einen Epigonen zu halten, ihn als einen zweitrangigen Nachahmer abzutun. Gewiss, ihm fehlt die religiös-philosophische Tiefe Tolstois; nach Gott und seinem Vorhaben mit dem Menschen zu fragen, ist nicht seine Sache. Er, das Kind einer anderen, späteren kultur- und literaturgeschichtlichen Epoche, ist kein unter der Unbegreiflichkeit dieser Welt leidender Denker, kein moralisch urteilender Autor, sondern ein Realist anderer Art: ein scharfäugiger, die feinen Einzelheiten getreu registrierender Chronist, ein mit den Erkenntnissen der Psychoanalyse schon vertrauter Beobachter, dem darum nichts Menschliches fremd erscheint; einer, der seine Zeitgenossen aus nächster Nähe wahrnimmt und beschreibt, sie aber nicht richtet, sondern allenfalls nur mit Ironie bedenkt. In nüchterner Sachlichkeit überlässt es Bánffy zumeist seinem Leser, die eigenen Schlüsse zu ziehen.
    Dies, bei der Darstellung der Individuen die Regel, gilt nicht für die Gesamtheit der Gesellschaft. Im Rückblick auf die zehn Jahre 1904 bis 1914 zieht Bánffy eine Bilanz, die für die politisch maßgebenden Schichten Ungarns – für jene Aristokratie, der Bánffy selber angehörte, und für den mittleren Adel – vernichtend ausfällt. Die Anklage, dass die Männer, denen das Los des Landes anvertraut war, die nur allzu deutlichen Zeichen nicht erkannt, dass sie den letzten noch nutzbaren Augenblick vor der Kriegskatastrophe und dem Zerfall des Königreichs Ungarn mit Nichtigkeiten vertan hatten, war Bánffys eigentliches Anliegen, mit dem er seine Landsleute konfrontierte. Das den drei Bänden jeweils vorangestellte alttestamentarische Motto – die als Flammenschrift an den babylonischen König Belsazar gerichtete Warnung – kommt auch in den Titeln der einzelnen Bände der Trilogie zum Ausdruck, die in der Formulierung des ungarischen Originals an die Worte »gezählt, gewogen, zu leicht befunden und zerteilt« anklingen.
    Um die Parallele mit Tolstoi noch einmal zu bemühen: Nimmt sich Bánffy vor, von einer entscheidenden historischen Periode und – darin eingebettet – von den verschiedensten Schicksalen zu berichten, dann hat er im Vergleich mit dem großen russischen Vorbild einen Vor- und einen Nachteil. Der Vorteil: Die geschilderten Ereignisse liegen erst zwanzig bis fünfundzwanzig Jahre zurück, Bánffy, der politisch engagierte Zeitgenosse, kennt die von ihm beschriebene Welt und die sie bevölkernden Menschen aus eigener Anschauung und Erfahrung. Der (nicht unerhebliche) Nachteil: Im Gegensatz zu Tolstois Thema, dem dramatischen Verlauf und der weltgeschichtlichen Bedeutung von Napoleons Feldzug gegen Russland, ist die Zeit, mit der sich Bánffy auseinandersetzt, eine Periode des Friedens, der wirtschaftlichen Entwicklung und sogar der bürgerlichen Sättigung. Keine Tragödie rollt auf dieser Bühne der österreichisch-ungarischen Spätzeit ab; im Parlament in Budapest spielt man vielmehr ein Stück, dessen Handlung sich in kleinlichen Intrigen und Prestigekämpfen erschöpft – ein manchmal in Posse ausartendes Welttheater, hinter dessen Kulissen sich freilich unbemerkt schleichend der Niedergang vollzieht.
    Unbemerkt, beinahe unbemerkt? Die meisten der von Bánffy geschilderten Figuren – Parteiführer und Abgeordnete, hochgestellte Herren mit klingenden Namen ebenso wie die grauen Provinzpotentaten, die kleineren und größeren, mehr oder minder korrupten Beamten im Staatsapparat – sie alle gehen in selbstgerechter Zufriedenheit ihren Weg, der sie bald schon in den Abgrund führt. Nur einige wenige unter Bánffys Geschöpfen blicken über den eigenen Lebenskreis hinaus und sorgen sich, von bösen Ahnungen erfüllt, um den Zustand und die Zukunft des Landes. Doch sie sind Gestalten am Rand des politischen Geschehens: der mit liebevoller Ironie »Pfaffulus« genannte katholische Geistliche etwa, der dank der Allgegenwart seiner Kirche über vielerlei Informationen verfügt, oder der liberal-idealistische, freilich weder machtvolle noch sehr tatkräftige Hauptheld Bálint Abády.
    Ein unspektakulärer Abstieg, von Bánffy sehr genau wiedergegeben. Dennoch bleibt das, was in dieser engeren Sphäre
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