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Verschwundene Schätze: Roman (German Edition)

Verschwundene Schätze: Roman (German Edition)

Titel: Verschwundene Schätze: Roman (German Edition)
Autoren: Miklós Bánffy
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der Magyaren am Vorabend des Ersten Weltkriegs geschieht – zumal für den nicht-ungarischen Leser – in manchem Zug schwer nachvollziehbar und scheinbar einzig von lokaler Bedeutung. Nur scheinbar, denn die Ereignisse, die den Hintergrund von Bánffys Roman bilden, sind ein Teil des Vorspiels zum Untergang der Donaumonarchie, einem für Mitteleuropa verhängnisvoll folgenreichen Einschnitt im zwanzigsten Jahrhundert.
    Wer die Lektüre des großen menschlichen Dramas hinter sich hat, das die Seiten der »Siebenbürger Geschichte« füllt, wer die Breite und die Farbigkeit des im Roman dargebotenen Spektrums kennt, wird wohl dem Urteil Patrick Leigh Fermors zustimmen, der Miklós Bánffy einen »geborenen Erzähler« nannte. Viel ist dieser Feststellung denn auch nicht hinzuzufügen. Der Erklärung bedürftig könnten an dieser Stelle aus dem Abstand eines Jahrhunderts eher die Zeitumstände sein, unter denen sich die vielschichtige, an Figuren und Schauplätzen reiche Handlung entwickelt.
    Was für eine Welt war es also, von der Bánffy uns erzählt? Gemäß dem Ausgleich von 1867 bestand das Habsburgerreich aus zwei Staaten: Österreich und Ungarn. Die beiden Reichshälften besaßen ihre eigenen Regierungen, Parlamente und Staatsverwaltungen. Zu den Gemeinsamkeiten gehörte vorab die Person des Herrschers; der in Wien residierende österreichische Kaiser, Franz Joseph, trug zugleich als König die Krone von Ungarn. Zu den gemeinsamen, den »kaiserlichen und königlichen« Angelegenheiten zählte man die Außenpolitik, das Militär- und das Finanzwesen; gemeinsam sodann waren das Zollgebiet sowie das Banken- und das Währungssystem. Eine wichtige Einschränkung der österreichischen wie der ungarischen Souveränität bedeutete weiters die Bestimmung, deren umstrittene Auswirkungen auch in Bánffys Roman wiederholt zur Sprache kommen, wonach dem k.u.k. Verteidigungsminister nur die Militärverwaltung unterstand, aber das letzte Wort bei der Organisation und der Führung der Armee dem Herrscher zukam.
    Die ungarische politische Szene teilte sich nach dem Ausgleich in zwei Lager – eine Frontbildung, die in der rund vierhundert Jahre dauernden Zugehörigkeit des Landes zum Habsburgerreich in verschiedenen Formen stets wiederkehrte. Die »67-er«, das heißt die Anhänger des mit Österreich geschlossenen Kompromisses, standen den »48-ern« gegenüber, so benannt in Erinnerung an die bürgerliche Revolution von 1848. Deren Führer hatten seinerzeit vom Wiener Hof (für kurze Zeit) die Bildung einer in jeder Hinsicht – auch im Militär- und im Finanzwesen – eigenständigen ungarischen Regierung erzwungen und die Verbindung mit Österreich auf den gemeinsamen Herrscher und somit auf eine Personalunion beschränkt. Dass die Nachfahren, die späten »48-er«, sich auch »Unabhängigkeitspartei« nannten, entsprach freilich keiner Realität, denn ihre Forderungen richteten sich nicht auf die Loslösung vom westlichen Teil des Reichs; sie begnügten sich mit der Kritik an militärischen und wirtschaftlichen Einrichtungen der Monarchie, die, wie sie meinten, Ungarn benachteiligten. Der Ruf nach der Gründung einer ungarischen Nationalbank und der Errichtung eines eigenen Zollgebiets, Forderungen, die in den politischen Kapiteln von Bánffys Roman immer wieder auftauchen, spiegeln diese Haltung wider. Gleiches gilt für die militärpolitischen Wünsche, um die ein langwieriger und heftiger Streit geführt wurde und die uns heute, da sie weitgehend die Nationalsymbolik betrafen, vollends schwerverständlich erscheinen.
    Schwerer wogen die Meinungsdifferenzen, wenn es namentlich nach der Jahrhundertwende angesichts der instabilen Lage auf dem Balkan darum ging, die Wiener Pläne zur Entwicklung der Armee und zur Aufstockung ihrer Bestände mitzutragen. Die »67-er«, vereint in der seit 1875 ununterbrochen regierenden Liberalen Partei, sahen sich im Parlament in der Frage dem Widerstand der Opposition gegenüber. Den Gegnern schlossen sich allmählich auch frühere, gemäßigte »67-er« an, und die »48-er«-Seite griff in der Abgeordnetenkammer zur Waffe der Obstruktion – durch endlose Wortmeldungen wurden parlamentarische Beschlüsse verunmöglicht –, um die Erhöhung der Zahl der von Ungarn zu stellenden Rekruten zu verhindern.
    Zu diesem Zeitpunkt, im September 1904, setzt der erste Band von Bánffys Trilogie – »Die Schrift in Flammen« – ein und bietet gleich zu Beginn, indem der Verfasser Siebenbürger
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