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Seelenschacher

Seelenschacher

Titel: Seelenschacher
Autoren: Martin Mucha
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I
    Ende Juli ist nicht viel los auf dem Institut für Klassische Philologie der Uni Wien. Die Hörsäle sind leer, das Sekretariat ganztags unbesetzt, und auch die Bibliothek hat nur für ein paar auserwählte Stunden, gewöhnlich Freitagvormittag, geöffnet. Dann, wenn sämtliche Philologen schlafen. Alles ist leer und still. Kein Wunder, bei der subtropischen Hitze, die zu der Zeit in Wien herrscht. Wenn das Hemd auf der Haut und die Schreibhand am Papier kleben bleibt. Wenn die Straßen nach Bananenschalen und Hundepisse riechen. Wenn nur ein Büro besetzt ist. Meines.
    Die Sache schimpft sich wissenschaftlicher Journaldienst und bleibt immer am Jüngsten hängen. Wenigstens hatte ich das Büro ganz für mich allein. Die beiden Dissertanten, mit denen ich mir den winzigen Raum während des akademischen Jahres teilen muss, ließen sich nicht blicken. Somit bestand meine ganze Gesellschaft aus Aktenschränken und Topfpflanzen. Die Aktenschränke waren vollgeräumt, die Topfpflanzen tot. Also hielt sich der Zwang zu Smalltalk in Grenzen.
    Ich verbrachte also den Sommer damit, in meinem Büro zu sitzen und an meiner Habil zu basteln. Während der langen, einsamen Stunden kann man förmlich zusehen, wie die angenehme Kühle des Morgens der brütenden Hitze des Mittags weicht, um im Laufe des Nachmittags in drückende Schwüle überzugehen. An guten Tagen beginnt es um halb vier zu regnen. In großen, schweren Tropfen. Wer dann keine brauchbare Tasche hat, dem verläuft auf dem Nachhauseweg die Tinte der Manuskripte, und ein ganzer Tag voller Arbeit ist dahin. Ist mir schon passiert, seitdem kleidet ein Plastiksackerl vom Hofer meine alte Ledertasche innen aus. Hässlich, aber zweckmäßig.
    An jenem Mittwoch kletterten die kleinen Celsiusse fleißig nach oben, bis zum Mittag war es noch ein Stückchen Zeit. Ich hatte mir gerade eine neue Tasse Tee eingeschenkt, die Füße seitlich auf den Schreibtisch gelegt und weidete mich am Anblick der mumifizierten Topfpflanzen, die mir mein Vorgänger hinterlassen hatte, als es an der Tür klopfte. Den Blumenmumien ging es besser als mir, ihre Ruhe würde niemand mehr stören können. Sauer rief ich »Herein«, und die Türe öffnete sich. Ein kugelrunder Kopf auf einem kugelrunden Torso erschien. Der Torso steckte in einer schwarzen Cappa, unter der das Weiß des Habits hervorlugte. Die Kopfkugel war haarlos, glatt und glänzte schweißig. Um den unter Doppelkinnen verschwundenen Hals hing ein schönes, einfaches Silberkruzifix. Es schwang gegen seine Brust, die sich hob und senkte, als Bruder Erich nach Atem rang. Offensichtlich war er die Philosophenstiege zu Fuß heraufgestiegen. Einen Mann wie ihn konnte das umbringen.
    »Servus, Erich, nimm Platz.« Ich wies auf einen der Studentenstühle hin, der vor meinem Schreibtisch stand. »Einen Tee?«
    »Gern.« Erich setzte sich mühsam. Seitdem ich ihn zum letzten Mal gesehen hatte, war er noch ein bisschen in die Breite gewachsen, der Stuhl war ihm zu klein. Eine fettgepolsterte Hand erschien und nahm die Teeschale entgegen. Die Hand war fast eine Kugel, die Finger schienen aus jeweils drei Kugeln zu bestehen.
    »Wie ich sehe, eiferst du noch immer dem heiligen Thomas nach. Wie ich höre, mussten sie die Treppe seines Turms abreißen, um seine Leiche abtransportieren zu können.«
    »Das kann mir nicht passieren, ich lebe nicht in einem Turm.«
    »Gut zu wissen, dass du dir der Gefahr bewusst bist.«
    »Arno, lass die Späße, ich bin wegen was Ernstem hier.«
    »Meinst du, dein Leibesumfang sei keine ernste Angelegenheit? Fett ist tödlicher als Blei.«
    Er ignorierte meine letzte Weisheit und zündete sich einen Zigarillo an. Das tut er nur, wenn er nervös ist. Ich schob ihm ein leeres, staubiges Glas hin. Er aschte hinein.
    »Also, worum geht’s?«
    Erich inhalierte tief, was den Kugeleindruck noch verstärkte, blies aus und schaute an mir vorbei zum Fenster hinaus in den Lichthof.
    »Kannst du jemanden beschatten, herausfinden, was er so treibt, welche Motive er hat, ob es irgendeinen schwachen Punkt gibt und dergleichen?«
    »Warum gehst du nicht zu einem Profi? Der ist nicht teurer als ich und kann das wahrscheinlich besser.«
    »Weil das eine heikle Sache ist und ich nicht jedem zutraue zu verstehen, worum es da geht.«
    »Handelt der Mann etwa mit geklauten altgriechischen Partikeln?«
    »Nein.« Erich inhalierte und sah mich ernst an, dabei verschwanden seine kleinen schwarzen Äuglein fast hinter dem Fett seiner
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