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Verschwundene Schätze: Roman (German Edition)

Verschwundene Schätze: Roman (German Edition)

Titel: Verschwundene Schätze: Roman (German Edition)
Autoren: Miklós Bánffy
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gab, kamen sie zuletzt so weit, dass sie das Ansehen des Parlaments – das sie ursprünglich über alles gestellt hatten – nun selber erschütterten.
    Gedanken dieser Art gingen Bálint während der Fahrt im Zug durch den Sinn. Als Erstes las er die Morgenblätter. Darin war noch von einem Versuch die Rede, bei dem die Krise durch Aladár Zichy, durch Andrássy oder abermals durch Wekerle selber, das heißt innerhalb der Koalition, beigelegt werden sollte. Diese Lösung aber wurde durch die Obstruktion der Befürworter der unabhängigen Bank zunichtegemacht.
    Ein Mittagblatt wartete schon mit neuen Informationen auf. Károly Khuen-Héderváry wurde vom König empfangen und als Ministerpräsident designiert. Er wird die Kammer auflösen und damit der Öffentlichkeit Gelegenheit geben, bei Neuwahlen kundzutun, wie weit sie sich von jenen abgewandt hat, die sie vor vier Jahren noch vergöttert hatte.
    Eine Ära ging hier zu Ende. Ihre Bilanz kannte nur Negatives. Sie bestand aus lauter Versäumnissen. Was man auf dem Gebiet der Landesverteidigung vernachlässigt hatte, wog am schwersten. Das Land hatte auf solche Art vier Jahre verloren. Vier unwiederbringliche Jahre. Sowohl Italien als auch Serbien waren zu der Zeit auf einen Krieg schon besser vorbereitet als die Doppelmonarchie.

    Der Schnellzug hatte die Donau schon längst hinter sich gelassen. Der Abend war hereingebrochen. Abády schaute trotzdem zum Fenster hinaus. Eine traurige, von Ruß geschwärzte Welt zog sich auf der endlosen Ebene hin. Der erste Schnee war geschmolzen und dann wieder zu Eis gefroren. Der Zug raste zwischen eisbedeckten Feldern gegen Norden. Der Rauch aus der Lokomotive wälzte sich in schweren Schwaden über die Äcker, und rote Lichter glitten auf dem spiegelglatten Eis in die Weite, wenn der Heizer manchmal die Tür zum Kessel öffnete.
    Noch eine halbe Stunde. Dann wird er aussteigen, sich in die wartende Kalesche setzen. Eine weitere halbe Stunde, und er ist am Ziel, im Schloss Szent-Györgyi. Er wird dort erwartet.
    Es wird sich erfüllen, was er am Morgen als einzige Antwort auf Adriennes Brief ihr in einem Telegramm geschrieben hat:
    »Heute Mittag reise ich nach Jablánka, wie von Ihnen befohlen.«

Nachwort

Am Vorabend des Ersten Weltkriegs

    von Andreas Oplatka

    Manch berühmter Name ist in den Besprechungen genannt worden, die im deutschen Sprachgebiet das Erscheinen des ersten Bandes von Miklós Bánffys Siebenbürger Trilogie, »Die Schrift in Flammen«, begleiteten. Parallelen zogen die Rezensenten zu den Werken von Größen wie Marcel Proust, Tomasi di Lampedusa und Joseph Roth, vorab aber fühlten sie sich immer wieder an Leo Tolstoi und seinen monumentalen Roman »Krieg und Frieden« erinnert. Kein Zweifel, der russische Klassiker war eines der Vorbilder bei Bánffys kühnem Unterfangen, die letzten in Friedenszeit verbrachten zehn Jahre der österreichisch-ungarischen Monarchie 1904 bis 1914 romanhaft in der Form eines gewaltigen Gesellschaftsgemäldes festzuhalten.
    Die Ähnlichkeit – oder eher: Bánffys Selbstverständnis in der Nachfolge Tolstois – wird noch unterstrichen durch die aristokratische Herkunft und die damit einhergehenden Lebensumstände. Beide, Tolstoi und der Siebenbürger Ungar Miklós Bánffy (1873 bis 1950), waren Kinder alter und reicher hochadeliger Familien, beide führten den Grafentitel, beide verschrieben sich der Kunst, bewahrten aber einen gewissen vornehmen Abstand zur Welt der literarischen Boheme. Tolstoi wie Bánffy blickten mit Selbstkritik auf ihre stürmisch verbrachten Jugendjahre zurück, und der eine wie der andere besaß beträchtliche Landgüter, auf die er sich im Mannesalter zurückzog und wo er einen großen Teil seines Lebens verbrachte.
    Hier freilich hören die Affinitäten der zwei Lebensläufe auf. Der unter Gewissensqualen um sittliche Vervollkommnung ringende späte Tolstoi, dessen innerer Kampf in eine neue, eigene Religion mündet, hat mit dem Weltmann und Politiker Miklós Bánffy, mit dem Abgeordneten und Klausenburger Präfekten ebenso wenig mehr gemeinsam wie mit dem Intendanten der Budapester Oper und des Nationaltheaters oder dem ungarischen Außenminister – Ämter, die Bánffy 1912 bis 1918 und 1921/22 auch innehatte. Der Eremit von Jasnaja Poljana und der im öffentlichen Leben als Staatsdiener, Künstler und Mäzen stets engagierte Bánffy sind sehr verschiedenartige Persönlichkeiten. Und doch ist der Einfluss Tolstois auf den beinahe um ein halbes
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