Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Verschwundene Schätze: Roman (German Edition)

Verschwundene Schätze: Roman (German Edition)

Titel: Verschwundene Schätze: Roman (German Edition)
Autoren: Miklós Bánffy
Vom Netzwerk:
zu verstecken. Lange blieben sie beisammen. Die Schatten im Hotelzimmer füllten sich mit den vielen balsamischen Worten, welche die alte Frau ihrem Sohn gegenüber aussprach.
    Die nächsten Tage verbrachten sie ständig zusammen: am Vormittag in den Wartezimmern von Ärzten oder in einem Museum, am Nachmittag und am Abend vielleicht im Kino und manchmal in einem Konzert. Vom Theater wollte die alte Dame diesmal nichts wissen, obwohl sie die Vorstellungen sonst immer eifrig besuchte, doch sie nahm an, ihrem Sohn fiele es jetzt schwer, einem Schauspiel beizuwohnen.
    Um die Monatsmitte verreiste sie schließlich. Bálint begleitete sie natürlich zum Bahnhof. Da er die Mutter im Abteil schon früh untergebracht hatte, blieb er bis zur Abfahrt bei ihr.
    »Zu Weihnachten mache ich die Reise zu dir«, sagte Bálint, um dann nach einer kurzen Pause kaum betont hinzuzufügen: »Übermorgen fahre ich zu den Szent-Györgyis zur Jagd.«
    Die Mutter blickte ihn an. Sie hatte sogleich verstanden, dass es da um mehr ging als um das simple Faktum. Um das Gespräch über den Gegenstand zu verlängern, stellte sie die Frage: »Wer wird dort sein? Die gleichen wie letztes Jahr?«
    »Wer die Schützen sein sollen, darüber habe ich nichts vernommen. Die Frauen kann ich auch nicht alle nennen. Meine Tante und Magda sind natürlich dabei. Und … und auch die kleine Lili Illésváry. Von ihr weiß ich bestimmt, dass sie kommt.«
    Róza Abády gab keine Antwort. Doch ihr Gesicht erstrahlte, und mit ihren kleinen Händen ergriff sie den Kopf des Sohns und küsste ihn auf die Stirn.
    »Geh hin, mein Sohn«, sagte sie leise, »und Gott segne dich.«

    Die Lokomotive des Schnellzugs nach Zsolna stand schon rauchend unter dem rußbedeckten Glasgewölbe des Westbahnhofs. Bálint kaufte zahlreiche Zeitungen für die Reise und stieg dann ein. Er stellte sein Gepäck in die Ablage und vertiefte sich in die Blätter. Ein Gerücht hielt sich schon seit einiger Zeit, dass die unselige Regierungskrise demnächst ihre Lösung finden werde. Davon zeugte auch die Tatsache, dass Wekerle bereits vor Tagen seinen Indemnitätsvorschlag eingereicht hatte, was so viel hieß, dass er die Geschäfte auf der Grundlage des letztjährigen Staatshaushaltsplans weiterführen würde. Dies deutete darauf hin, dass man die Koalitionsregierung irgendwie zu reaktivieren gedachte. Doch viele andere Zeichen las man anders. Die Unabhängigkeitspartei hatte sich im November gespalten. Die Anhänger der selbständigen Bank verdrängten Ferenc Kossuth und seine Anhänger. Seitdem herrschte dort Justh, und zwischen den beiden Lagern setzte ein erbitterter Kampf ein, der in der Presse ein breites Echo fand. Und die Auseinandersetzung wurde immer giftiger, denn Justh hatte das Amt des Kammerpräsidenten niedergelegt, worauf Kossuths 48-er-Genossen bei der neuen Präsidentenwahl mit den 67-ern zusammen stimmten und Justh durchfallen ließen. Bruderkrieg wütete. Drauf und los! Das ist’s, was die Ungarn brauchen! Weder gegenüber Tisza noch bei der Ablehnung von Fejérvárys Regierung hatte man je so hasserfüllte Töne angeschlagen. Jetzt aber geschah dies: Der frühere Kammervorsitzende, kaum hatte er sich zurückgezogen, behinderte nun die Annahme von Wekerles Indemnitätsvorschlag durch eine technische Obstruktion; er ersuchte um geschlossene Sitzungen sowie um eine Namensabstimmung über jede noch so bedeutungslose Frage. Er gebrauchte das Mittel, von dem er und seine Parteigänger zuvor laut verkündet hatten, dass es einzig in einem Parlament verwendet werden dürfe, in dem die Mehrheit unter Manipulationen zustande gekommen sei. Nun richteten sie auf diese Art ihr eigenes Parlament zugrunde.
    So schloss sich der Kreis. Die Koalitionsbewegung hatte mit der Obstruktion begonnen. Die Minderheit stürzte damit eine Regierung nach der anderen, bis sie endlich mit vollmundigen Sprüchen und national verbrämten Wahllosungen die Mehrheit erlangte. Da aber stand sie plötzlich vor der Realität des Staatsinteresses. Sie wurde zur Kapitulation gezwungen, was sie aber verheimlichte. So kam sie an die Macht. Sie akzeptierte die Wahlrechtsreform, verwirklichte sie aber nicht.
    Die verbündeten Parteien hatten während ihrer dreieinhalb Jahre dauernden Regierungszeit stets miteinander gerungen, Hass erfüllte sie nach und nach gegen die Partner, und da sie um die Staatsgeschäfte feilschen mussten, dabei aber nicht das öffentliche Interesse, sondern der Parteistandpunkt den Ausschlag
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher