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Verschwunden

Verschwunden

Titel: Verschwunden
Autoren: Amanda McLean
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am ersten Schultag. Er fehlte auch am folgenden und am darauf folgenden. Als er nach einer Woche noch immer nicht zum Unterricht erschienen war, starb Lane fast vor Sorge.
„Ich kann da nicht wieder anrufen. Wenn nun Kyle rangeht?“
    „ Lass es die Schulsekretärin machen“, schlug Michael vor. Sie waren auf dem Nachhauseweg. Michael hatte sie jeden Tag zur Schule gebracht und sie am Nachmittag wieder abgeholt. Er sagte, es mache nichts, wenn seine eigene Arbeit darunter leiden musste, er war Juniorchef eines kleinen Finanzunternehmens und konnte sich seine Arbeitszeiten eh selbst einteilen.
    „ Mrs. Sheldon hat es schon ein paarmal versucht. Nie ist jemand ans Telefon gegangen. Die scheinen die Nummer der Schule auf dem Display zu sehen.“
„Dann werde ich es versuchen. Meine Handynummer kennen sie nicht“, sagte Michael.
    Sobald sie in Michaels Wohnung, wo Lane vorübergehend eingezogen war, angekommen waren, wählte Michael die Nummer der Reeds.
„Wer ist da?“, meldete sich eine Männerstimme.
Michael hatte sein Handy auf Lautsprecher gestellt, sodass Lane mithören konnte.
    „ Guten Tag, hier spricht Mr. Conrad, ich bin Lehrer an der Schule Ihres Sohnes Jeremy. Ich rufe an, um mich nach ihm zu erkundigen. Er ist die ganze Woche nicht zum Unterricht erschienen.“
„Oh, hat die Schule schon wieder angefangen?“, fragte Kyle.
„Allerdings. Wir vermissen Jeremy bereits. Er wird doch am Montag wieder in die Schule kommen?“
    Stille. Kyle schien zu überlegen. Es war ganz offensichtlich, dass er nach einer Entschuldigung, einer Ausrede suchte.
„Das wird wohl nicht gehen“, sagte er. „Jeremy ist nicht in der Stadt. Er ist zu seiner Großmutter nach Monticello gezogen, für eine Weile. Dort wird er ab jetzt zur Schule gehen.“
    Lane hatte Mühe, nicht ins Telefon zu schreien: „Was hast du mit ihm gemacht, du Dreckskerl?“
    „ Und aus welchem Grund haben Sie die Schule darüber nicht informiert? Sie müssen den Jungen von der Schule abmelden, warum haben Sie das nicht getan?“, fragte Michael jetzt.
„Hab ich vergessen“, sagte Kyle.
    Lane konnte sehen, dass Michael Schwierigkeiten hatte, gelassen weiterzusprechen.
„Das heißt, wir werden Jeremy nicht mehr wiedersehen?“, fragte Michael Kyle jetzt.
Lane konnte sein Grinsen förmlich sehen. „Nicht in nächster Zukunft.“
    „ Das ist sehr schade“, schloss Michael ab. „Wir hätten gern eine kleine Abschiedsfeier veranstaltet. Wenn Jeremy mal in der Stadt ist, könnten Sie ihn vielleicht vorbeibringen, damit die Kinder ihm Lebewohl sagen können.“
Kyles Antwort war sein Auflegen.
    Lane schlug die Hände vors Gesicht. „Oh nein, Michael, was hat er nur mit Jeremy gemacht?“
„Vielleicht ist es wahr und er ist bei seiner Grandma in Monticello.“
„Er hat überhaupt keine Grandma“, sagte Lane und schluchzte bitterlich.

16
    Lane nahm die nächsten Tage wie in Trance wahr. Sie stand morgens auf, putzte sich die Zähne, aß, was immer Michael ihr hinstellte und ließ sich von ihm zur Arbeit bringen. Sie unterrichtete, setzte eine fröhliche Miene auf, aß ihr Lunch, unterrichtete wieder, gab Hausaufgaben auf, verabschiedete die Schüler, wartete auf Michael, ging zusammen mit ihm nach Hause, aß zu Abend, bereitete sich auf den nächsten Schultag vor, sah sich mit Michael einen Film oder eine Serie im Fernsehen an und ging schlafen.
    Sie ging nicht in den Prospect Park. Sie las kein Buch. Sie trank keinen Vanille-Macchiato. Sie wusste nicht, was mit ihr los war, sie wusste nur, dass da diese Angst war – nicht um sich selbst, aber um Jeremy. So, wie sie seit ihrer Kindheit instinktiv fühlte, wenn etwas Schlimmes passiert war oder noch passieren würde, spürte sie jetzt, wie eine hoffnungslose Aura sie umgab.
    Etwas war ganz und gar nicht in Ordnung, und sie konnte nicht einmal sagen, was. Wo war Jeremy?
    ***
    Anfang Februar konnte sie nicht mehr.
Die Jugendfürsorge, die sie sofort nach dem Telefonat mit Kyle verständigt hatte, hatte mal wieder nichts erreicht. Sie waren auf ihr Drängen hin zum Haus der Reeds gefahren und hatten die gleiche Antwort bekommen, die auch Kyle Michael gegeben hatte. Jeremy sei bei seiner Grandma in Monticello.
    Es war keine Straftat, sein Kind für eine Weile zur Großmutter zu schicken. Man fragte ihn nach der neuen Schule des Jungen und Kyle nannte ihnen einen Namen. Lane bezweifelte, dass Mrs. Anderson weiter nachgeforscht hatte. Für sie war der Fall klar: Kyle hatte Probleme und kam nicht mit
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