Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Verschollen im Taunus

Verschollen im Taunus

Titel: Verschollen im Taunus
Autoren: Frank Demant
Vom Netzwerk:
Leichen. Zumindest keine sichtbaren, denn zur anderen Hälfte der Hütte, die bei der Explosion – daß es eine war, davon war nun auszugehen – nur geringen Schaden genommen hatte, gab es noch einen mannshohen Durchgang, den zu erkunden sich der Detektiv nun anschickte.
    Zuvörderst jedoch mußte er Trümmer beseitigen. Herr Schweitzer tröstete sich mit dem Gedanken, daß dies in Deutschland Tradition hatte. Wegen seiner Verletzungen konnte er ja nicht einfach darüberklettern. Es war eine Tätigkeit, die seine Zeit brauchte, da Teile der Trümmerlandschaft dergestalt ineinander verkeilt waren, daß er seine ganze Kraft aufwenden mußte.
    Dann war es geschafft. Der Weg war frei. Als sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, sorgte das trotzig an der Wand hängende Hirschgeweih, ein Zwölfender, für ein Déjà-vu-Erlebnis der hammerharten Art. Von einem gar argen Taumel erfaßt, fiel sein erst kürzlich aufgerichteter Oberkörper zur Seite, wurde aber auf halbem Wege von der Rückwand aufgefangen. Die Erinnerung kam zurück. Nicht vollständig, aber auch so stellten sich seine Nackenhaare auf. Herr Schweitzer wußte, vor nicht allzu langer Zeit hatte er in Todesgefahr geschwebt. Noch viel, viel mehr als jetzt. Das Hirschgeweih hatte sich einst in einer Todeszelle befunden. Nicht in irgendeiner: in seiner.
    Das gestrige Konzert des brasilianischen Gitarristen Chico Pinheiro hatte Maria nicht richtig genießen können. Immer wieder waren die Gedanken bei ihrem Simon gelandet. Auch wenn er nicht immer als absolut zuverlässig galt, so durfte nicht ausgeschlossen werden, etwas Ernsteres habe sein Erscheinen verhindert. Vor ein paar Tagen – oder war es letzte Woche? – hatte er stolz von seinem neusten Auftrag berichtet, der ihm, so wörtlich, glatte zehn Mille einbringen sollte, und, noch besser, er habe fast nichts dafür zu tun. Klar, sie hätte nun denken können, das sei aber sehr ungewöhnlich, zehn Mille für fast Nichts zu kassieren, aber da mal genauer nachzufragen, war ihr nicht in den Sinn gekommen. Maria hatte es ihm gegönnt, hatte nur mit „Oh, ist ja toll“ geantwortet.
    Den ganzen Vormittag über hatte sie nun schon versucht, Herrn Schweitzer oder wenigstens seine Mitbewohnerin Laura Roth zu erreichen, doch niemand war ans Telefon gegangen. Bei Laura war dies wenig verwunderlich, arbeitete sie doch ganztags. Maria stand in der Küche ihres Hauses oben am Lerchesberg und putzte Karotten. Das Radio war nicht, wie sonst üblich, eingeschaltet, um der ungeliebten Hausarbeit den nötigen Schwung zu verleihen, denn auf keinen Fall wollte sie das nun doch sehr herbeigesehnte Klingeln ihres Telefons überhören. Ein komisches Gefühl beschlich sie mehr und mehr. Wir wollen hier nicht von der überstrapazierten weiblichen Intuition sprechen, denn dazu war Herrn Schweitzers Verschwinden von der Bildfläche zu ungewöhnlich. Spätestens nach dem Erwachen einer fulminant durchzechten Nacht hätte er doch seine Liebste kontaktiert und sich um eine Entschuldigung bemüht. Maria sah auf die Digitalanzeige ihrer Küchenuhr: 13 Uhr 42. Immer nervöser werdend gelang es ihr kaum noch, sich auf die Arbeit zu konzentrieren.
    Kurze Zeit später hatte sie vollends die Schnauze voll, schnappte sich Simons Ersatzschlüssel, den er hier sicherheitshalber deponiert hatte, und machte sich auf die Socken zu seiner Wohnung im Mittleren Hasenpfad. Ein Fußweg von etwas mehr als zwanzig Minuten. Maria sagte sich, Sachsenhausen sei doch ein überschaubares Pflaster, irgendwo werde sie ihren Freund schon finden. Ausnahmsweise wäre sie sogar heilfroh gewesen, ihn volltrunken im Bett anzutreffen. Oder davor, das hat’s auch schon gegeben.
    Und während in Frankfurt die ersten Aktivitäten vonstatten gingen, die kausal mit seiner unentschuldigten Abwesenheit zusammenhingen, lehnte Herr Schweitzer noch immer erschöpft an der Wand. Schlag auf Schlag waren Teile der Erinnerung über ihn hereingebrochen und lähmten ihn zusätzlich. Ein verrostetes Bettgestell, wie es in überfüllten Gefängnissen der Dritten Welt zum Standard gehörte, stand verloren in der Ecke. Ein emaillierter Pißpott ergänzte das Stilleben. Die Scherben des zerborstenen kleinen Fensters auf dem ansonsten leeren Bretterboden rührten wohl von der Detonation her. Dieser Teil der Hütte war, aus was für Gründen auch immer, vom Feuer verschont geblieben.
    Hier war er also gefangen gehalten worden. Über welchen Zeitraum, das konnte Herr Schweitzer so
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher