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Verschollen im Taunus

Verschollen im Taunus

Titel: Verschollen im Taunus
Autoren: Frank Demant
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Zivilisation zu entdecken. So weit, so gut. Zwar befand sich über dem Nietengürtel noch ein männlicher Oberkörper mit einem wunderhübschen Flanellhemd – rot-grüne Karos auf beigem Grund, dazu meerblaue opake Knöpfe. Und einen Kopf mit blondem Haarschopf hatte es obendrein, aber dieser lag einen halben Meter entfernt.
    Wenn es noch eines Beweises bedurfte, daß Herr Schweitzer seine sieben Sinne noch beisammen hatte, dann war es seine nun folgende, von Logik nur so strotzende und leise hervorgebrachte Äußerung: „Eine Leiche …“ – pathologisch durchaus präzise.
    Und der einstige Aushilfs- und jetzige Profidetektiv konnte, wenn’s drauf ankam, rasend schnell denken. Auf die Tatsache der räumlichen Trennung von Kopf und Torso folgte die fixe Vermutung, es könne bei diesem Massaker jemand nachgeholfen haben. Und dieser Jemand – sicherlich ein schlechter Mensch – konnte sich noch in der Nähe herumtreiben. Vielleicht war er ja aufs Kopfkürzen spezialisiert. So etwas konnte vorkommen, man denke da nur an die diversen Massenmörder, die gelegentlich ihr Unwesen treiben. Mit den Augen eines Irrwischs, und ohne sich mehr zu bewegen als notwendig, musterte Herr Schweitzer Abschnitt für Abschnitt um ihn herum. Der Kreis hatte die dreihundertsechzig Grad fast voll, als er die Hütte entdeckte. Zunächst war es nur ein zarter Umriß, den wahrzunehmen er imstande war, da sie genau dort stand, von wo die Sonne ihre grellen Strahlen durchs Blattwerk warf, aber nach und nach gewann sie an Konturen.
    Während sich Herr Schweitzer mucksmäuschenstill verhielt, veranstaltete sein Herz ein Wettrennen mit der Blutzirkulation. Weil das eine vom anderen abhängig war, einigte man sich intern auf ein Remis.
    Fünf Minuten verstrichen, dann zehn, dann eine halbe Stunde, in der sich nichts bewegte außer den Vögeln und der Natur, wenn eine zarte Windböe aufkam. Erst als die Sonne hinter einer Riesentanne in vollem Umfang zum Vorschein kam und auf seinem Schädel brannte, war Herr Schweitzer zum Handeln gezwungen, wollte er nicht als Mumie enden. Aber was tun? Sich auf die Gefahr hin der Hütte zuwenden, daß der böse, böse Unhold dort noch lauerte? Instinktiv griff sich Herr Schweitzer an den Hals. Hmm …
    Wenn eine Eintagsfliege bis zum Mittag schläft, so ist das die reinste Zeitverschwendung, wußte er. Und wenn er hier noch länger liegen blieb, ebenfalls. „Ich muß, ich muß, ich muß“, murmelte er. Es klang wie eine Beschwörungsformel. Und anstatt auf fette Jahre im Jenseits zu warten, gab er sich einen Ruck und robbte, von Totenglocken begleitet, drauflos. Die Angst war groß, doch die Alternativen in dieser von Gott und seinen menschlichen Kreaturen verlassenen Gegend waren gering. Natürlich ging’s Richtung Hütte. Weit ausholend umkurvte er die Leiche. Sein Blick war stets auf die hölzerne Behausung gerichtet. Die Pilzgruppe, die auf seinem Weg lag, ignorierte er. Obschon er nicht wußte, wie lange er, der Gourmet und Gourmand in Personalunion, nun schon auf feste Nahrung verzichtet hatte, stellte sich bei ihrem Anblick kein Hungergefühl ein. Eventuell hatte ihm der Leichenanblick den Hunger verdorben. Außerdem bestand die Möglichkeit einer Intoxikation. Pfifferlinge und Champignons hätte er identifiziert. Aber diese Pilze hier waren weder noch. Weiter ging’s.
    Das nächste, was Herrn Schweitzer stutzig werden ließ, waren ein paar orangefarbene messerscharfe Metallsplitter, die vor seinen Augen auftauchten. Auf einem davon war das Wort Propan zu lesen. „Gas“, ergänzte er. Kurz darauf suchte er über der Hütte nach Drähten und fand keine. Ein Stromanschluß hier mitten im Wald hätte ihn auch ziemlich überrascht. Propangas war also irgendwie logisch, wollte sich der Besitzer beziehungsweise Benutzer der Hütte mal kurzerhand einen leckeren Schweinebraten oder einfach nur Kaffee zubereiten. Er war fast am Ziel, als er den Brandgeruch wahrnahm. Herr Schweitzer lobte sich für sein feines Näschen und sah auf. Die Hälfte der fast sechs Meter langen Vorderfront war weggebrochen und lag angekokelt in einem Trümmerfeld davor. Die untere Hälfte der Propangasflasche steckte wie ein Warnsignal in einem Balken, der mehr schlecht als recht das restliche, aus grob gehobelten Bohlen und getrocknetem Schilf fabrizierte Dachgerüst vor dem endgültigen Zusammenbruch bewahrte. Verbeulte Töpfe, Pfannen, Blechtassen und zerbrochenes Geschirr lagen kreuz und quer herum. Aber keine weiteren
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