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Verschlossen und verriegelt

Verschlossen und verriegelt

Titel: Verschlossen und verriegelt
Autoren: Maj Sjöwall;Per Wahlöö
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drückende Hitze und ein überwältigender Leichengestank entgegenschlug. In dem Zimmer, das zur Straße hin lag, stießen sie auf einen toten Mann. Die Leiche lag circa drei Meter vom Fenster entfernt, das zur Bergsgatan hinausführte, auf dem Rücken neben einem eingeschalteten elektrischen Heizkörper. Aufgrund der Hitze, die von diesem ausstrahlte, und des herrschenden heißen Wetters war die Leiche »auf mindestens das doppelte Körpervolumen« aufgequollen. Der Körper war stark verwest, Leichenwürmer fanden sich in großen Mengen. Das Fenster zur Straße war von innen mit einem Haken verschlossen und das Rollo heruntergezogen. Das zweite Fenster der Wohnung, in der Kochnische, zeigte zum Hof. Die Fensterflügel waren mit Dichtungsstreifen zugeklebt und anscheinend schon lange nicht mehr geöffnet worden.
    Das Zimmer war spärlich möbliert und die Einrichtung ärmlich. Die Wohnung war im Hinblick auf Decke, Fußboden, Wände, Tapeten und Farbe ausgesprochen verwohnt.
    In Kochnische und Wohnraum befanden sich nur wenige Gebrauchsgegenstände.
    Einem vorgefundenen Rentenbescheid war zu entnehmen, dass es sich bei dem Toten um den zweiundsechzigjährigen Karl Edvin Svärd handelte, ehemals Lagerarbeiter und seit sechs Jahren Frührentner. Nachdem die Wohnung von einem Kriminalassistenten namens Gustavsson inspiziert worden war, schaffte man die Leiche zur obligatorischen Obduktion in die Gerichtsmedizin. Die Angelegenheit wurde vorläufig als Selbstmord eingeschätzt, alternativ als Todesfall aufgrund von Hunger, Krankheit oder einer anderen natürlichen Ursache.
    Martin Beck tastete in den Taschen seines Jacketts nach den nicht mehr existierenden Zigaretten der Marke Florida. In der Presse war Svärd mit keinem Wort erwähnt worden. Dazu war die Geschichte viel zu banal. Stockholm hatte eine der höchsten Selbstmordraten der Welt, was man tunlichst nicht zur Sprache brachte oder notfalls mit diversen manipulierten und verlogenen Statistiken zu übertünchen versuchte. Die gewöhnlichste Erklärung war die einfachste: dass alle anderen Länder ihre Statistiken wesentlich mehr verfälschten. Seit ein paar Jahren wagten allerdings nicht einmal mehr Regierungsmitglieder, dies laut oder öffentlich zu sagen, möglicherweise weil sie spürten, dass die Menschen trotz allem eher ihren eigenen Augen als politischer Schönfärberei trauten. Und falls es zufällig kein Selbstmord war, machte das die Sache noch peinlicher. Im sogenannten Wohlfahrtsstaat wimmelte es nämlich nur so von kranken, bitterarmen und einsamen Menschen, die sich bestenfalls von Hundefutter ernährten und sich selbst überlassen blieben, bis sie dahinsiechten und in ihren Rattenlöchern von Wohnungen starben. Nein, das war nichts für die Öffentlichkeit. Kaum etwas für die Polizei.
    Doch das war nicht alles. Die Geschichte vom Frührentner Karl Edvin Svärd hatte noch eine Fortsetzung.

6
    Martin Beck besaß genügend Berufserfahrung, um zu wissen: Wenn in einem Bericht etwas unverständlich erschien, lag dies in neunundneunzig von hundert Fällen daran, dass jemand schlampig gearbeitet, sich geirrt, etwas fehlerhaft notiert, den entscheidenden Punkt vergessen hatte oder nicht fähig gewesen war, sich verständlich auszudrücken.
    Der zweite Teil der Geschichte von dem Toten in dem Haus an der Bergsgatan erschien dunkel.
    Zunächst hatte alles seinen gewohnten Gang genommen. Die Leiche war am Sonntagabend fortgeschafft und in einem Kühlfach deponiert worden. Am nächsten Tag wurde die Wohnung desinfiziert, was sicher bitter nötig gewesen war, und die zuständigen Polizisten hatten den Fall abgeschlossen. Die Leiche wurde am Dienstag seziert, und das Obduktionsprotokoll traf am folgenden Tag bei der Polizei ein. Alte Leichen zu obduzieren ist kein Vergnügen, vor allem dann nicht, wenn man von vornherein weiß, dass es sich um eine Person handelt, die sich das Leben genommen hat oder eines natürlichen Todes gestorben ist. Wenn der Betreffende darüber hinaus nicht unbedingt eine Stütze der Gesellschaft war, sondern beispielsweise ein vorzeitig pensionierter Lagerarbeiter, wird die Sache vollends uninteressant.
    Das Obduktionsprotokoll hatte eine Person unterschrieben, von der Martin Beck noch nie gehört hatte, vermutlich irgendeine Aushilfe. Der Text war ausgesprochen wissenschaftlich formuliert und schwer verständlich.
    Das war womöglich der Grund für die etwas schlafmützige Behandlung des Falls. Denn allem Anschein nach war die Akte
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