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Verschlossen und verriegelt

Verschlossen und verriegelt

Titel: Verschlossen und verriegelt
Autoren: Maj Sjöwall;Per Wahlöö
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sie ihre Aufgaben an jeden abschieben, der sie haben will. Es ist was zum Nachdenken. Zum Stillsitzen und Grübeln.«
    »Tja, dann werde ich mir die Sache wohl mal ansehen«, sagte Martin Beck leidenschaftslos.
    »Darüber hat kein Wort in den Zeitungen gestanden. Bist du nicht neugierig?«
    »Doch, sicher. Tschüs.«
    »Tschüs«, sagte Kollberg.
    Hinter der Tür hielt er inne und blieb einige Sekunden mit gerunzelter Stirn stehen. Dann schüttelte er bekümmert den Kopf und ging zum Aufzug.

5
    Martin Beck hatte gesagt, er sei neugierig auf den Inhalt der roten Mappe, aber das war alles andere als die Wahrheit.
    Im Grunde interessierte er ihn nicht die Bohne.
    Warum hatte er die Frage dann ausweichend und irreführend beantwortet?
    Um Kollberg eine Freude zu machen? Wohl kaum. Um ihn zu täuschen? Noch weiter hergeholt.
    Zum einen gab es dazu überhaupt keinen Grund, aber vor allem war es unmöglich. Sie kannten sich seit zu vielen Jahren viel zu gut, und außerdem war Kollberg einer der am schwersten zu täuschenden Menschen, denen er je begegnet war. Vielleicht, um sich selbst zu täuschen? Auch der Gedanke erschien ihm unsinnig.
    Martin Beck fuhr fort, sich mit der Frage zu beschäftigen, während er systematisch die Durchsicht seines Büros abschloss.
    Als er mit den Schubladen fertig war, wandte er sich den Möbeln zu, rückte Stühle, stellte den Schreibtisch in einem anderen Winkel hin, schob den Aktenschrank ein paar Zoll näher zur Tür, schraubte die Schreibtischlampe ab und versetzte sie an den rechten Tischrand. Sein Stellvertreter hatte sie offenbar lieber links gehabt, oder vielleicht hatte es sich auch zufällig so ergeben. Bei nebensächlichen Dingen handelte Kollberg oft nach dem Zufallsprinzip. Wenn es um etwas Wichtiges ging, war er dagegen Perfektionist. So hatte er erst geheiratet, als er zweiundvierzig war, und zwar mit der offen ausgesprochenen Begründung, er wolle eine perfekte Frau haben. Er hatte auf die Richtige gewartet.
    Martin Beck konnte dagegen auf fast zwei Jahrzehnte einer gescheiterten Ehe mit einer Person zurückblicken, die mit Sicherheit nicht die Richtige gewesen war. Inzwischen war er jedenfalls geschieden, hatte aber vermutlich gewartet, bis es zu spät war.
    Während des letzten halben Jahres hatte er sich gelegentlich dabei ertappt, dass er sich fragte, ob seine Scheidung insgesamt gesehen nicht doch ein Irrtum gewesen war. Vielleicht war eine nörgelnde und langweilige Frau zumindest etwas aufregender als gar keine.
    Das war allerdings keine wichtige Frage. Er nahm die Vase mit den Blumen und trug sie zu einer der Sekretärinnen. Sie schien sich darüber zu freuen. Martin Beck setzte sich auf seinen Bürostuhl und sah sich um. Die Ordnung war wiederhergestellt. Wollte er sich einreden, dass sich nichts verändert hatte? Die Frage war sinnlos, und um sie möglichst schnell zu vergessen, zog er die rote Mappe zu sich heran. Das Plastik war durchsichtig, und er sah auf den ersten Blick, dass es sich um einen Todesfall handelte. Das war okay. Todesfälle standen in intimer Beziehung zu seinem Beruf. Aber warum war er ihm auf den Tisch gekommen? Bergsgatan 57. Also praktisch auf der Türschwelle zum Polizeipräsidium.
    Ganz generell konnte er sagen, dass die Sache weder ihn noch seine Abteilung etwas anging; es war ein Fall für die Stockholmer Kriminalpolizei. Einen Moment lang fühlte er sich versucht, nach dem Telefon zu greifen und jemanden auf Kungsholmen anzurufen und sich zu erkundigen, was das sollte. Oder einfach alles in einen Umschlag zu stecken und an den Absender zurückzuschicken.
    Der Drang, sich rigide und bürokratisch zu verhalten, war so stark, dass es einer Kraftanstrengung bedurfte, ihn zu unterdrücken.
    Um sich abzulenken, sah er auf die Uhr. Schon Zeit für die Mittagspause. Er hatte keinen Hunger.
    Martin Beck stand auf, ging in den Waschraum und trank ein Glas lauwarmes Wasser.
    Als er zurückkam, merkte er, dass die Luft in seinem Büro stickig und heiß war. Dennoch zog er sein Jackett nicht aus und knöpfte nicht einmal den Kragen auf.
    Er setzte sich hin, zog die Blätter heraus und begann zu lesen.
    Achtundzwanzig Jahre als Polizist hatten ihn viel gelehrt, unter anderem auch die Kunst, Berichte zu lesen, schnell unnötige Wiederholungen und Unwichtiges auszusortieren und das Muster zu erkennen, wenn es denn eins gab. Er benötigte weniger als eine Stunde, um die Berichte gründlich zu studieren. Die meisten waren schlecht geschrieben, manche
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