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Verraten

Verraten

Titel: Verraten
Autoren: Esther Verhoef , Berry Escober
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schaute ihr direkt in die Augen.
    Sie nickte kaum merklich. Es war wirklich sehr merkwürdig.
    Eine leichte Brise kam auf. Sie strich sich eine Locke hinter das Ohr.
    »Okay, Susan«, sagte er und stand von der Liege auf. »War nett, sich mit dir zu unterhalten. Ich gehe dann mal wieder. Mal sehen, ob meine Frau inzwischen aufgewacht ist. Bei dem Fraß hier ist es das reinste Wunder, dass man ihr nicht den Magen auspumpen musste.«
    Er entfernte sich ein paar Schritte, hob im Gehen seine Schwimmflossen vom Sand auf und verschwand in Richtung des Hotelkomplexes, wo den Gästen zum dreißigsten Mal an diesem Tag Rivers of Babylon vorgedudelt wurde.
    »Vielen Dank nochmal!«, rief sie ihm nach.
    Er hob, ohne sich umzudrehen, die Hand zum Zeichen, dass er sie verstanden hatte. Sie stand auf, packte ihre Sachen in eine Plastiktasche und spazierte langsam zurück zum Hotel.
    In den nächsten Tagen versuchte sie ihm auszuweichen, hauptsächlich weil sie sich unsicher fühlte. Dennoch begegnete sie ihm andauernd. An der Rezeption. Bei den Aufzügen. Am Frühstücksbuffet. Und an dem großen, ellipsenförmigen Swimming-Pool, an dessen Rand seine Frau saß, in gezierter Pose wie ein Filmstar, mit den Zehen im Wasser plätschernd, stets in höchst aparten Bikinis und Pareos - jeden Tag eine andere Kreation -, während er mit dem Fanatismus eines Wettkampfschwimmers seine Bahnen zog. Er hätte gut ein Wettkampfschwimmer sein können. Die Figur dazu hatte er.
    Jedes Mal begegneten sich ihre Blicke.
    An dem Abend bevor die Maschine der Martinair sie wieder nach Schiphol zurückbrachte, stand er in der Schlange am Büffet hinter ihr. Er hielt zwei Teller in einer Hand und pikte prüfend mit einer Gabel in die aufgetragenen Speisen. Als er sie fragte, ob sie sich zu ihnen an den Tisch setzen wolle, stimmte sie zu.
    Es war keine gute Idee.
    Seine Frau Alice fühlte sich offensichtlich unbehaglich, auch wenn sie ihre Nervosität krampfhaft hinter einem viel zu lauten, künstlichen Lachen zu verbergen versuchte. Susan erkannte die Zeichen der Ohnmacht, die Alice verspüren musste. Sah, wie sich die Unsicherheit schattengleich über das hübsche, offene Gesicht der Blondine legte.
    Und tatsächlich hatte Alice allen Grund dazu, sich unsicher zu fühlen. Nicht zuletzt weil ihr Mann seine volle Aufmerksamkeit einer fremden Frau widmete, die wünschte, dass Alice zur Toilette gehen und mindestens vier Stunden dort bleiben würde. Nach einer halben Stunde entschuldigte sich Susan und ging auf ihr Zimmer. Sie fühlte sich der Konfrontation mit den beiden einfach nicht mehr gewachsen.
    Um sechs Uhr am nächsten Morgen wartete er schon in der Lobby auf sie. Eine halbe Stunde bevor der Bus die Touristen zum Flughafen brachte, kritzelte sie auf sein Drängen ihre E-Mail-Adresse auf die Rückseite einer Visitenkarte des Hotels. Er half ihr mit ihrem Gepäck. Schaute dem Bus vom überdachten Eingang des Hotels aus nach, bis er durch die von Männern mit Maschinengewehren bewachte Einfahrt des Komplexes hindurch verschwand.
    Zu Hause angekommen hatte sie getan, was sie tun musste. Hatte die Filme entwickeln lassen. War in die Redaktion gegangen und hatte die Dias abgegeben. Eingekauft, Wäsche gewaschen. Ihren Vater angerufen. Das Übliche, was sie immer tat, seitdem sie von Jules geschieden war. Und größtenteils fiel es ihr gar nicht so schwer. Aber irgendwie fühlte es sich anders an.
    Leerer.
    Sinnloser.
    Unvollständig.
    Als die erste E-Mail eintraf, knapp eine Woche nach ihrer Rückkehr aus Hurghada, las sie sie an die zwanzig Mal. Sie antwortete zwei Tage später und wog dabei jedes Wort sorgfältig ab. Damals konnte sie noch nicht ahnen, dass dies den Beginn eines intensiven E-Mail-Kontakts darstellte, der nun bereits seit zwei Jahren anhielt und der immer intensiver wurde. Sie wog ihre Worte schon lange nicht mehr ab, bevor sie sie ihm anvertraute, und sie glaubte, dass sie ihn besser kannte als irgendjemand sonst.
    Und umgekehrt.
    Sie lebte quasi nur noch von seinen E-Mails.
    Mit dem Becher in den Händen ging sie in ihr Arbeitszimmer. Startete den Computer und klickte das Explorer-Icon an. Gab die Adresszeile ein und wartete. Tippte ihr Passwort und ihren Benutzernamen und schaute gespannt auf den Bildschirm.
    Sie hatte eine Mail. Von Sil.
    Er hatte sie schon heute Nachmittag abgeschickt, also war sie wahrscheinlich irgendwo im Cyberspace hängen geblieben. Sie fing an zu lesen.
     
    An: [email protected]
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