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Verraten

Verraten

Titel: Verraten
Autoren: Esther Verhoef , Berry Escober
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Schultern gestrafft. Wie eine römische Statue. Er starrte dem Nordafrikaner in einer Weise hinterher, von der ihr angst und bange wurde. Anschließend blickte er sie an. Sein Ausdruck wurde weicher.
    »Du solltest dich lieber nicht allein hier aufhalten«, sagte er mit einem kurzen Nicken in die Richtung, wo der Ägypter nur noch als Punkt in der Ferne erkennbar war. »Manche von denen können einfach nicht damit umgehen.«
    Sie nickte nur.
    Er hatte schöne Augen. Wie wandelbar sie waren, hatte sie eben gerade beobachtet. Blitzschnell hatte sein Gesichtsausdruck gewechselt, von eiskalt zu aufrichtig besorgt.
    Faszinierend.
    »Bist du allein unterwegs?«, fragte er.
    Sie nickte.
    »Vielleicht solltest du beim nächsten Mal lieber nach Teneriffa oder Benidorm fliegen.«
    »Ich bin beruflich hier.«
    »Arbeitest du bei der Tauchschule?«
    »Nein, ich bin freie Fotografin.«
    »Bist du dann nicht fünfhundert Kilometer zu weit südöstlich?«
    »Nein, ich bin mit einer Dokumentation über den Tourismus hier an der Küste beauftragt.«
    Er verzog zynisch das Gesicht. »Sehr aufregend.«
    Sie blickte über seine Schulter hinweg den langen Strand entlang. »Wie man sieht.«
    Der Mann war verschwunden, als sei er niemals da gewesen.
    »Bleib in Zukunft um diese Zeit lieber in der Nähe des Hotels«, riet er ihr sanft. »Hier ist es zu einsam. Und das wissen diese Typen auch.«
    Sie nickte und zog die Knie an. Schlang die Arme darum und rechnete irgendwie damit, dass er weggehen würde. Doch er setzte sich ans Fußende ihrer Liege, in den Schatten des Sonnenschirms, und blickte sie schweigend an. Es war still, bis auf das Rauschen der Wellen. Von ferne, aus der Richtung des Swimming-Pools, trug der Wind hin und wieder Musik herüber. I miss you like the deserts miss the rain. Everything But The Girl spielten die hier mindestens zehnmal am Tag. Genau wie die verstaubten Nummern von Tom Jones und, großer Gott, sogar Boney M.
    Kinderstimmen, Kreischen, Spaß. Weit weg.
    Eine andere Welt.
    »Wie heißt du?«, fragte sie, um das Schweigen zu brechen.
    »Sil.«
    »Ich heiße Susan.«
    Sie wagte es nicht, die Hand auszustrecken. Sie befürchtete einen Kurzschluss, wenn sie ihn berührte.
    »Wie lange bleibst du noch?«, fragte er.
    »In vier Tagen kann ich endlich nach Hause«, sagte sie. »Und du?«
    »Ich muss es noch anderthalb Wochen aushalten.«
    »Was machst du denn hier?«
    Sein Blick wanderte zum Meer. »Das frage ich mich auch manchmal.«
    Die Art und Weise seiner Antwort ließ ihr keinen Spielraum für weitere Fragen. Also schwieg sie und betrachtete ihn verstohlen.
    Gerade Nase. Ansprechende, mandelförmige Augen mit langen, schwarzen Wimpern. Blau. Oder grün. Grau? Gerade, rechteckige Kinnpartie. Scharf gezeichnete, dunkle Augenbrauen. Sie konnte nichts an ihm entdecken, das ihr nicht gefiel. Er strahlte eine große Kraft aus. Energie. Sie spürte einen unwiderstehlichen Drang in sich aufkommen, ihn zu fotografieren. In Schwarz-Weiß. Genau so, wie er jetzt hier saß.
    Aber sie sprach ihren Wunsch nicht aus.
    Abrupt wandte er ihr sein Gesicht zu. Schien geradewegs in sie hineinzuschauen.
    Sie fühlte sich ertappt.
    »Hast du Angst gehabt?«
    Sie dachte nach.
    Angst?
    »Ja«, antwortete sie schließlich. »Aber hauptsächlich war ich wütend, glaube ich. Es macht mich rasend, dass sich so ein Schwachkopf nur aufgrund seiner körperlichen Überlegenheit etwas nehmen könnte, was mir gehört. Und sich dann Jahre später noch daran erinnern würde, wie er mir mitgespielt hat. Und damit bei seinen gehirnamputierten Freunden angäbe, die genauso ein tristes, armseliges Leben führen wie er. Das gönne ich einem solchen Idioten einfach nicht.«
    Sie geriet wieder in Rage.
    Unbewegt schaute er sie an.
    »Jedenfalls war ich eher wütend als ängstlich«, fügte sie hinzu.
    »Verletzlichkeit«, sagte er. »Verletzlichkeit macht dich wütend.«
    Er wandte den Blick wieder dem Meer zu. Blieb ruhig sitzen und unternahm nicht den geringsten Versuch, das Gespräch in Gang zu halten. Susan schaute ebenfalls über das Wasser und spürte, wie sie allmählich ruhiger wurde.
    Das Schweigen zwischen ihnen fühlte sich nicht unangenehm an. Vielleicht weil sie den Eindruck hatte, dass es nicht zwischen ihnen hing, sondern sie umgab wie eine Glasglocke. Am liebsten wäre sie für den Rest ihres Aufenthalts hier sitzen geblieben. Schweigend, am Strand. Das fühlte sich gut an. Mehr als gut.
    »Merkwürdig, was?«, sagte er plötzlich und
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