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Verraten

Verraten

Titel: Verraten
Autoren: Esther Verhoef , Berry Escober
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Meer. Den zehntausenden deutschen, russischen und niederländischen Feriengästen, die nicht zum Tauchen oder Schnorcheln hierher gereist waren, blieb nichts anderes übrig, als sich mit der Situation abzufinden. Und abfinden bedeutete an der ägyptischen Küste zum Beispiel, an zahmen Exkursionen zu den Beduinen teilzunehmen, zu versuchen, tagsüber nicht von der Sonne gegrillt zu werden, und sich abends mit dem guten lokalen Stella-Bier volllaufen zu lassen, während man das Animationsprogramm verfolgte, das verdächtig nach einem bunten Abend für das Hotelpersonal aussah.
    Was es wahrscheinlich auch war.
    Susan hatte die mit Maschinengewehren bewaffneten Wachen auf den Mauern rund um den immensen Fünf-Sterne-Komplex patrouillieren sehen und die Botschaft begriffen. Sie tat, wozu sie gekommen war, und verbrachte die restliche Zeit lesend an dem fast ausgestorbenen Hotelstrand - die meisten Hotelgäste hielten sich lieber an einem der Pools auf. Die lagen ungefähr fünfhundert Meter näher an den Hotelgebäuden, was bei der sengenden Hitze und Temperaturen von um die vierzig Grad einen großen Unterschied ausmachte. Da ihrer Erfahrung nach die Männer in dieser Gegend bislang nur unzureichend an Frauen gewöhnt waren, die im Bikini oder oben ohne über ihre Strände ausschwärmten, trug sie einen lächerlich keuschen, dunkelblauen Badeanzug.
    Zur Sicherheit. Um niemanden zu provozieren.
    Aber das reichte offenbar nicht.
    Drei Tage vor ihrer Abreise, gegen sechs Uhr abends, tauchte plötzlich wie aus dem Nichts ein Ägypter neben ihrer Strandliege auf. Er war jung, um die fünfundzwanzig, etwa einen Meter fünfundsiebzig groß und muskulös. Er hatte ein schmales Gesicht und ein vorzeitig ruiniertes Gebiss. Tief liegende, fast schwarze Augen, die sie auf eine Weise ansahen, wie sie es sich in den Niederlanden niemals hätte gefallen lassen. Aber sie war nicht in den Niederlanden. Sie blickte sich Hilfe suchend um, nach irgendjemandem, egal, wem, sah aber nichts als die leise plätschernden Meereswellen und hunderte, in schnurgeraden Reihen aufgestellte Liegestühle mit zugeklappten Sonnenschirmen daneben. Einige Holzstrandhütten mit Schilfdach machten einen ebenso verlassenen Eindruck.
    Keine Hilfe weit und breit.
    Und keine Zeugen.
    Der Ägypter war ihrem Blick gefolgt und grinste, dass sie seine braun marmorierten Zähne sah.
    Sie überlegte blitzschnell. Sie war eine Frau. Er war ein Mann. Mehr Muskelmasse. Jung, stark. Er brauchte nur einmal richtig zuzulangen, und es wäre um sie geschehen. Also musste sie zu faulen Tricks greifen. Sie versuchte sich vorzustellen, wie sie ihm beide Daumen tief in die Augenhöhlen bohrte, bevor er sich verteidigen konnte. Wusste, dass sie dann auf jeden Fall weitermachen müsste, was immer auch danach geschah. So aggressiv wie möglich, sich bis zum Äußersten verteidigen wie eine in die Enge getriebene Katze. Ihn treffen, wo sie nur konnte. Beißen, schubsen, treten. Und dabei schreien wie eine Wahnsinnige.
    Doch eine ängstliche Stimme in ihrem Inneren flüsterte ihr zu, dass ein aggressiver Angriff ihre Niederlage nur hinauszögern würde. Dass sie den ungleichen Kampf verlieren und die Aggression sich gegen sie richten würde. Lieber flüchten vielleicht? Nein, der Mann stand zu nahe bei ihr.
    Zu nahe?
    Vielleicht könnte sie sich ducken und sich von der Liege hinunterrollen lassen. Und dann die Beine in die Hand nehmen. Sie war gut in Form. Und sie würde um ihr Leben rennen, wodurch sie vielleicht schneller war als er. Fünfhundert Meter, weiter war es nicht bis zu der schützenden Meute am Schwimmbecken. Sie musste sich entscheiden.
    Ihr Gedankengang nahm vielleicht drei Sekunden in Anspruch. Gerade als sie aufspringen wollte, sah sie, wie der Mann den Blick auf einen Punkt hinter ihr richtete. Sich daraufhin umdrehte und davonging. Nach ein paar Metern wütend über die Schulter zurückblickte. Weiterlief. Die Gefahr war gebannt, genauso schnell und unerwartet, wie sie heraufgezogen war. Ihr Körper befand sich noch im Alarmzustand. Ihr Herz hämmerte gegen die Rippen, und ihr Atem ging schnell.
    Das Ganze hatte höchstens ein paar Minuten gedauert. Mindestens genauso lange brauchte sie, um zu begreifen, dass da jemand hinter ihr war. Sie drehte sich um.
    Ein Mann stand da. Ein Europäer. Kurze, dunkle Haare. Von der Tauchermaske und dem Schnorchel in seiner Hand tropfte das Meerwasser. Seine Schwimmflossen lagen hinter ihm im Sand. Er stand sehr aufrecht. Die
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