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Verraten

Verraten

Titel: Verraten
Autoren: Esther Verhoef , Berry Escober
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Hinterkopf. Der Druck auf seiner Kehle ließ nach. Dankbar sogen sich seine Lungen voll mit frischem Sauerstoff.
    »Deine Waffe, wo hast du sie?«, fragte eine Männerstimme hinter ihm.
    »In … in meinem Schulterholster.«
    »Schalldämpfer?«
    »Jackentasche. In meiner Jackentasche.«
    »Munition?«
    »Auch.«
    Der Angreifer griff in Harrys Jackentasche und zog den Schalldämpfer heraus. Eine Sekunde später hatten zwei Schachteln Munition (ACPs) den Besitzer gewechselt. Dann sagte der Mann: »Zieh die Jacke aus. Nicht umdrehen! Eine falsche Bewegung und ich knalle dich ab!«
    Der Mann nahm den Arm weg, und Harry musste husten. Anschließend zog er ganz langsam seine Jacke aus und ließ sie zu Boden fallen.
    »Hände hinter den Kopf! Und immer schön langsam.«
    Harry nickte zum Zeichen, dass er verstanden hatte und keine Dummheiten machen würde. Er faltete die Hände hinter dem Kopf. Prompt drückte der Angreifer ihm die Pistole in das weiche Rückenfett. Harry fühlte, wie sein Schulterholster abgeschnallt wurde, wagte aber nicht zu protestieren.
    Der Pistolenlauf wurde zurückgezogen. Gleich darauf hörte Harry Schritte, die sich in schnellem Tempo entfernten.
    Dennoch behielt er vorerst die Hände hinter dem Kopf. Seine Augen waren weit aufgerissen. Erst viele endlose Minuten später wagte er es, sich umzublicken.
    Er war allein.
    Er hob seine Jacke auf und sah, wie etwas herunterfiel. Es war ein etwa zwanzig Zentimeter langes Stück Metallrohr.
    »Scheiße!«, rief er.
    Aber niemand hörte ihn.

1
     
    Susan betrat mit einer großen Tasse frisch aufgebrühtem Kaffee ihr Arbeitszimmer und setzte sich an den PC. Sie war froh, dass der Jetlag allmählich nachließ. Die bohrenden Kopfschmerzen von gestern waren einem leichten Schwindelgefühl gewichen. Sie konnte sich einfach nicht daran gewöhnen, dutzende Zeitzonen in knapp vierundzwanzig Stunden zu überwinden. In dieser Hinsicht war ein Flug von Australien nach Europa so ziemlich das Übelste, was einem passieren konnte.
    Gespannt klickte sie das Explorer-Icon an und loggte sich bei Hotmail ein. Musste gleich darauf ihre Enttäuschung hinunterschlucken. Ihre Mailbox war leer. Aber sie wollte die Hoffnung nicht aufgeben. Vielleicht kam ja heute Abend noch eine E-Mail.
    Ihr Blick wanderte über die Ordner auf dem Regalbrett über dem PC und blieb schließlich an der dritten Mappe von links hängen. Auf dem Rücken stand mit dicken Filzstiftbuchstaben Sagittarius, der Name von Sils Firma, der auch den ersten Teil seiner E-Mail-Adresse bildete. Die Mappe enthielt über hundert E-Mails, manche nur eine halbe DIN-A 4 -Seite lang, andere achtmal länger. Sie hatte sie ausgedruckt und sorgfältig geordnet. Speziell zu diesem Zweck den Ordner angelegt. Zugleich war sie sich bewusst gewesen, dass ihr Verhalten etwas Zwanghaftes hatte. Doch sie konnte sich einfach nicht dagegen wehren. In den vergangenen zwei Jahren hatte sie von einer Nachricht Sils zur anderen gelebt.
    Zwei Jahre, in denen sie an fast nichts anderes hatte denken können.
    Sie schaute hinaus. Kaum eine Wolke am Himmel; die Sonne tauchte die Stadt in ein gelblich orangefarbenes Licht. Mildes Herbstwetter in’s-Hertogenbosch. Sie ging ins Wohnzimmer und öffnete die Glasschiebetür, stellte zwei Klappstühle auf und setzte sich hin, den Kaffeebecher in den Händen.
    Hier auf der Rückseite des jahrhundertealten Häuserblocks schien die Zeit stillzustehen. Zu dieser Stunde hörte man nur Vogelgezwitscher und dann und wann das gedämpfte Knattern eines Mopeds. Sobald sie jedoch die Tür im Hauseingang hinter sich zuzog, war diese stille Welt plötzlich weit entfernt und eine pulsierende Hektik empfing sie, wie sie so alten Stadtteilen wohl eigen war.
    Die Türklingel schreckte sie aus ihren Gedanken auf. Ein durchdringendes Summen. Sie hatte sich schon so oft vorgenommen, die Klingel auszutauschen, doch durch die vielen Reisen war sie nie dazu gekommen. Sie stand auf und öffnete die Tür. Renos dunkelblondes Haar hing ihm strähnig um das Gesicht. Er war klapperdürr und trug viel zu weite Kleidung, darunter gebrauchte Teile aus Armeebeständen, die aussahen, als seien sie zehn Jahre lang von einem schlampigen Anstreicher getragen worden. Sein kantiges Gesicht wurde von einer Narbe verunstaltet, die sich quer über den Wangenknochen zog. Sie stammte von einem Fall durch eine Glasscheibe. In dem halben Jahr, das sie in Australien verbracht hatte, hatte er sich kein bisschen verändert.
    »Yo, San«,
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