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Verraten

Verraten

Titel: Verraten
Autoren: Esther Verhoef , Berry Escober
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mahnte er sich im Stillen. Wie hätte der Russe reagiert, wenn ihm klar geworden wäre, dass Alex die Beute der Überfälle für sich allein behalten wollte? In einer einigermaßen straff geführten Organisation wie dieser würde ihn das auf jeden Fall teuer zu stehen kommen. Sie würden ihn zum Schweigen bringen. Wie auch immer, Alex saß in der Patsche. Er selbst jedoch womöglich auch.
    Erneut blickte er den Gang entlang. Einige Nachzügler folgten der dichten Menge. Eine Mutter wischte ihrem Kind das tränenüberströmte Gesicht ab. Ein junges Paar stand in inniger Umarmung. Er suchte weiter. Schaute hinüber auf die andere Seite, zu den Toiletten. Dann wieder zu den Schließfächern. Kein Alex. Sie konnten nicht hinausgegangen sein. Dann hätte er sie gesehen. Ob sie in einen Zug gestiegen waren? Unwahrscheinlich.
    Er stand auf und griff nach dem Aktenkoffer, den er neben den Tisch gestellt hatte. Die Brille steckte er in die Jackentasche. Er verließ das geheizte Lokal und durchquerte den zugigen Korridor in Richtung der Toiletten. Vor der Tür blieb er einen Augenblick stehen. Er wusste, dass sein Vorhaben wahnsinnig riskant war. Die Toiletten waren zu eng, um ausreichend Abstand zu halten. Den nötigen Abstand, um im Zweifelsfall unerkannt zu bleiben.
    Er öffnete die Tür. Ein Mann mit fettigen, grauen Haaren und einer schwarzen Brille wusch sich die Hände und beachtete ihn nicht. Schüttelte die Wassertropfen ab und ging dicht an ihm vorbei hinaus. Bei den Pissoirs stand ein älterer Herr mit dem Rücken zu ihm. Sil ging weiter durch zu den geschlossenen Kabinen. Stieß die Türen eine nach der anderen auf. Leer. Wo immer Alex und seine Wächter auch sein mochten, hier waren sie jedenfalls nicht.
    Beunruhigt verließ er die Toiletten und bog rechts ab in Richtung der Bahnsteige. Er ging langsam, den Aktenkoffer unter den rechten Arm geklemmt. Den beigefarbenen Regenmantel hatte er locker um die Schultern gelegt. Er versuchte, so unauffällig wie möglich zu wirken. Er kam an den Schließfächern vorbei. Vorn und hinten standen auf jeder Seite Passfotokabinen. Er wandte sich einer der Kabinen zu und tat so, als studiere er die Tarife und Beispielfotos. Zugleich suchte er weiter den Gang ab. Er zählte fünf Leute. Alex war nicht unter ihnen.
    Er beschloss, auf den Bahnsteigen nachzusehen. Er überquerte den Korridor und blickte hinunter auf den tiefer gelegenen Bahnsteig. 1c, sagte die Leuchtanzeige über der Rolltreppe.
    Und dann sah er sie.
    Sie saßen auf einer der drei Metallbänke unter einer Art Laubendach aus dunkelgrün gestrichenem Gusseisen. Vermutlich hatte man diese Laube als Erinnerung an den alten Bahnhof aufgestellt. Aus ein paar gusseisernen Teilen des alten Gebäudes hatte man versucht, irgendetwas Künstlerisches, Authentisches zu erschaffen. Die Laube befand sich einige Meter von einem Zaun entfernt, der den gesamten Komplex umgab. Auf der rechten Seite verliefen die Gleise. Der Bahnsteig selbst bildete ein umgedrehtes V, das sich zum Ende hin verjüngte. An der Spitze verzweigten sich zwei Gleise y-förmig links und rechts an dem Bahnsteig vorbei.
    Alex und seine Bewacher waren die Einzigen weit und breit.
    Sil presste sich an den heruntergelassenen Rollladen eines Ladens und schaute erneut hinunter. Ja, sie waren es.
    Sie saßen seitlich auf der Bank, mit dem Rücken zu ihm. Die beiden Männer hatten die Arme über die Rückenlehne gelegt. Sie redeten. Sil sah es an den Bewegungen ihrer Köpfe. Der Schweiß brach ihm aus. Eine innere Stimme rief ihm zu, er solle verschwinden. Aber er blieb. Warf einen raschen Blick nach rechts zu den Rolltreppen. Niemand. Schaute wieder hinunter. Er sah, wie einer der Männer einen Arm um Alex legte, als sei er sein bester Freund. Als hätten sie jede Menge Spaß miteinander.
    Plötzlich, ohne dass sie sich erkennbar von Alex verabschiedet hätten, standen die Männer auf. Alex blieb sitzen. Sil zog sich etwas weiter zurück, schaute aber weiter wie gebannt hinunter. Er wollte nichts verpassen.
    Die Männer schlenderten den Bahnsteig entlang, parallel zu den Gleisen, bis zum Ende, wo das linke Gleis nicht mehr weiterführte. Sie blickten sich nicht einmal um. Als sie das Ende des Bahnsteigs erreicht hatten, schienen sie es dann plötzlich sehr eilig zu haben. Sil sah, wie sie vom Perron hinuntersprangen, das Gleis entlangliefen, unter einem Maschendrahtzaun hindurchschlüpften und in Richtung Altstadt verschwanden. Sil schaute hinunter zu Alex. Er saß
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