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Verraten

Verraten

Titel: Verraten
Autoren: Esther Verhoef , Berry Escober
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nicht so voll, fühlte sich aber schwerer an. Er öffnete sie und betrachtete nachdenklich den Inhalt. Inzwischen hatte sich Igor vor die Tasche gestellt, sodass kein Passant hineinsehen konnte.
    Roman sah, dass sich insgesamt sechs Waffen darin befanden. Am auffälligsten war eine deutsche Pistole mit einem Gewinde vorn am Lauf. Der schwarze Schalldämpfer, auf den sein Blick fiel, gehörte vermutlich dazu. Die Pistole ähnelte verdächtig der Waffe des Mannes, der die Überfälle verübt hatte. Aber es gab natürlich noch viele andere deutsche Pistolen mit Schalldämpfer, und er hatte an jenem Abend zu wenig darauf geachtet, um sich sicher sein zu können, dass es sich um dieselbe Waffe handelte. Er schaute sich den weiteren Inhalt der Tasche an. Schob die Heckler & Koch beiseite. Schachteln mit Munition, 9 Millimeter Parabellum,.45er ACPs. Eine abgenutzte, verkratzte HS2000. Roman hob den Blick. Das Gedränge auf dem Bahnhof wurde immer dichter. Sergei hatte sich neben Igor gestellt und die beiden schirmten ihn ausreichend ab. Dann fiel Romans Blick auf eine kleine, silberne Pistole und sein Herz setzte einen Schlag aus. Die Waffe war kurz und schnittig. Eine Baikal PSM, eine KGB-Pistole, von der nur noch wenige Exemplare in Umlauf waren. Sie war sehr selten. Sehr begehrt. Und sehr kostbar. Besonders diese, mit Griffbeschlägen aus sibirischem Mammutelfenbein. Sie war Andrejs ganzer Stolz gewesen. Er hatte sechstausend Euro dafür hingeblättert und die Waffe stets bei sich getragen. Es war noch keinen Monat her, dass Roman Andrejs Baikal zum letzten Mal gesehen hatte. Sie hatte auf dem Tisch gelegen, als der maskierte Mann hereingestürmt kam. Und sie war spurlos verschwunden gewesen, als Roman sich blutend wie ein angestochenes Schwein und unter höllischen Schmerzen in seinem Bein und seinem Knie zurück ins Büro geschleppt und Anna angerufen hatte. Und jetzt sah er sie wieder. In einer Reisetasche in einer zugigen Bahnhofshalle, höchstens neunzig Kilometer Luftlinie östlich von dem Ort, von wo sie entwendet worden war.
    Roman zog den Reißverschluss der Tasche zu und richtete sich langsam auf. Das Aufstehen fiel ihm schwer, und Sergei kam ihm sofort zu Hilfe und stützte ihn. Roman knurrte unzufrieden. Er hasste seine Abhängigkeit. Als er wieder aufrecht stand, starrte er Ljoscha ins Gesicht. Er sah, wie der Junge zu schlucken versuchte. Wie er am ganzen Leib zitterte und die nervösen Zuckungen seines Mundwinkels hektischer wurden. Er sah die Angst in seinen Augen. Ljoscha, dachte er. Ljoscha, Wladimirs Neffe. Möglich war es. Durch Wladimir hätte er über die Aufträge informiert sein können. Den genauen Ort, die genaue Zeit. Die Bewachung. Alles.
    Wladimir und seine verdammte Familienkrankheit.
    Roman starrte Ljoscha finster an und wechselte anschließend viel sagende Blicke mit den Männern an Ljoschas Seite.
    In etwa fünfundzwanzig Metern Entfernung, hinter der Glasscheibe eines Lokals ganz am Anfang des Korridors, verfolgte ein blonder Mann mit Schnäuzer und Regenmantel gespannt jede Bewegung der fünf Männer. Seine Augen hinter der dicken Brille blickten ausdruckslos. Jeder Passant hätte ihn für einen Vertreter oder einen Versicherungsagenten gehalten, der bei einer Tasse Kaffee auf seinen Anschlusszug wartete.
    Sil hatte sich lange gefragt, ob er es wirklich tun sollte. Trotz seiner Verkleidung bestand die Gefahr, dass Alex ihn erkennen würde. Aber seine Neugier hatte gesiegt. Er musste einfach wissen, was geschehen würde. Ob der Russe seinen Anruf ernst genommen hatte. Anscheinend hatte er das.
    Vor einer Viertelstunde hatte er Alex die Rolltreppe heraufkommen sehen, inmitten einer Gruppe von Schülern. Alex hatte sie um eine Kopf- und Schulterlänge überragt, aber dennoch hatte Sil einen Augenblick gebraucht, bis er ihn erkannt hatte. Alex’ kahl geschorener Kopf war unter einer Nike-Strickmütze verborgen und sein langer Pferdeschwanz steckte unter seiner Bomberjacke. Sil hatte beobachtet, wie Alex oben an der Rolltreppe stehen geblieben war und sich überall umgeschaut hatte. Anschließend war er im Strom der Reisenden an den Schließfächern auf der rechten Seite vorbeigegangen und danach zunächst aus seinem Blickfeld verschwunden. Kurz darauf war er auf der linken Seite des Schließfachblocks wieder aufgetaucht. Mit etwas heruntergezogener rechter Schulter hatte er die Nummern auf den Türen an der Vorderseite inspiziert. Sil hatte beobachtet, wie Alex die Schlüsselkarte in den
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