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Verleumdet: Ein Henning-Juul-Roman (German Edition)

Verleumdet: Ein Henning-Juul-Roman (German Edition)

Titel: Verleumdet: Ein Henning-Juul-Roman (German Edition)
Autoren: Thomas Enger
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offensichtlich dazu abzuschalten, sobald es bedrohlich oder schwierig wird. Vielleicht sollte er professionelle Hilfe in Anspruch nehmen.
    Aber zumindest erinnert er sich an immer mehr Dinge aus seiner Kindheit. In den letzten Tagen sind mehr und mehr Situationen aus der gemeinsamen Zeit mit Trine an die Oberfläche gekommen.
    Er steigt von der Tribüne und geht in Richtung Birkelund. Erst als er es zugelassen hat, über Trine nachzudenken, richtig nachzudenken, sind Teile aus ihrem Leben vor dem Tod ihres Vaters wieder aufgetaucht. Er fühlt sich ihr mit einem Mal wieder näher, kann sich an die Gefühle und Gedanken von einst erinnern.
    Es ist der Brand, denkt Henning. Es ist das Feuer, das alles lahmlegt, die Flammen blockieren seine Erinnerung. Womöglich muss er dieses Gefühl in seinem Körper wieder wachrufen. Genau wie es bei Trine geklappt hat.
    Er läuft die Treppe hinauf, schließt die Wohnungstür und hat nur ein Ziel vor Augen.
    Die verdammte Streichholzschachtel.
    Sie liegt genau da, wo sie immer liegt: auf dem Couchtisch neben dem Sofa, auf dem er immer schläft.
    Er setzt sich, konzentriert sich ausschließlich auf die höllische Schachtel, wohl wissend, dass sie in ihrem Innern ein tödliches Waffenarsenal gegen ihn parat hält.
    Henning schließt die Augen und zwingt die mutigen Gedanken hervor. Komm schon, es muss sein, nimm einfach ein Streichholz aus der Schachtel, leg es an die raue Fläche, zieh es darüber.
    Henning atmet ein paar Mal tief durch, ehe er die Augen öffnet und alles ausblendet – außer die Streichholzschachtel. Er nimmt sie, wiegt sie eine Weile in der Hand und schiebt sie auf.
    Vor ihm liegen Höllensoldaten.
    Henning nimmt ein Hölzchen heraus, mustert den dünnen Stift, der so klein und unschuldig zwischen seinem Daumen und Zeigefinger liegt.
    Dann hebt er den roten Kopf an die Reibfläche der Schachtel, presst ihn dagegen, spürt, wie der Druck zwischen seinen Fingern und der Schachtel sich aufbaut, obwohl das Streichholz sich keinen Millimeter rührt.
    Henning pausiert, ehe er einen neuen Anlauf startet. Diesmal spürt er das Streichholz über die Unterlage kratzen. Aber die Schachtel rutscht weg, es kommt keine Flamme.
    Okay, sagt er zu sich selbst, ruhig bleiben.
    Erneut legt er den Streichholzkopf gegen die Reibfläche der Schachtel. Wieder rutscht die Schachtel weg. Streichholz und Reibfläche haben keinen Kontakt mehr miteinander. Doch das, was er vor sich sieht, lässt ihn nach Luft schnappen.
    Eine Flamme.
    Eine stolze, hoch erhobene Flamme.
    Er starrt auf die rote Zunge in dem rotorangen Mantel, die sich langsam das Hölzchen hinabfrisst, und kann es kaum glauben, dass er es geschafft hat. Endlich. Er hat gerade einen seiner Dämonen besiegt.
    Doch eine Etappe steht noch aus. Die schwierigste. Und dafür reicht es nicht, nur ein Streichholz anzuzünden.
    Er muss die Flammen am eigenen Leib spüren.
    Es beginnt wehzutun, die Hitze kommt näher, aber er hat nur einen Gedanken im Kopf. Aushalten. Den Schmerz verdrängen. Instinkte und Reflexe unterdrücken. Festhalten.
    Und genau das tut er, er klammert sich an das Stück Holz, das gleich den Kampf gegen die Flamme verloren haben wird.
    Die Flamme frisst sich immer weiter nach unten, näher an Hennings Finger heran, und schließlich ruft er, schreit, weil es so wehtut, so höllisch weh, aber er lässt erst los, als das Streichholz abgebrannt ist und sich ein großes, rotblaues Brandmal an seinem Zeigefinger und Daumen bildet.
    Henning sitzt da und schnappt nach Luft. Als er die Augen wieder aufschlägt und die traurigen Überreste des Kriegers sieht, ist plötzlich an einer Stelle, wo vorher nur Dunkelheit war, Licht.
    Henning sieht.
    Und erinnert sich.
    »Tore Pulli«, sagt er leise, während seine Hand eine Faust bildet. »Du Satan.«
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