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Verheißenes Land

Verheißenes Land

Titel: Verheißenes Land
Autoren: Leonie Britt Harper
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ausreichend hohe Position in ebendiesem Bankhaus innezuhaben. Für dieses Ziel habe ich lange verbissen gelernt und gearbeitet. Nach anderthalb Jahrzehnten bei anderen Bankhäusern bot sich mir schließlich die Chance, auf die ich so lange gewartet hatte, und ich wurde Angestellter der Bank, die meine Familie ruiniert hatte. Es folgten noch viele weitere Jahre scheinbarer Hingabe, in denen es mir gelang, das Vertrauen der Direktoren zu gewinnen und endlich zu einem der Prokuristen ernannt zu werden. Im April tat ich dann, was ich mir fast vierzig Jahre vorher zu tun geschworen hatte: Ich nahm exakt die Summe Geld, die ein regulärer Verkauf der Gießerei eingebracht hätte, plus vier Prozent jährliche Verzinsung aus dem Tresor. Es waren genau fünfundzwanzigtausenddreihundertelf Dollar. Ich versichere dir, dass niemand dadurch zu Schaden gekommen ist, ausgenommen die Teilhaber der Bank.
    Mit diesem Geld flüchtete ich dann nach einem kurzen Aufenthalt beim einstigen Vorarbeiter meines Vaters auf den Trail nach Westen. Ich glaubte, dass man eine schmächtige Person wie mich, der zeit seines Lebens hinter einem Schreibpult gesessen und nie etwas Schwereres als eine Schreibfeder oder ein Rechnungsbuch in die Hände genommen hat, nie als Teilnehmer eines Aussiedlerzuges nach Westen vermuten würde. Ein Irrtum, wie sich herausgestellt hat, der mir jedoch zum Glück nicht zum Verhängnis geworden ist.
    So, jetzt kennst du die vollständige Geschichte über den Verbrecher und Bankräuber Morton Hayes alias Winston Talbot oder wie immer er sich bald nennen wird.
    Wie ich Dich schon anfangs bat, so tue ich es auch jetzt noch einmal: Bitte richte nicht zu hart über mich und das, was andere gemeinen Diebstahl nennen. Es war ein Schwur, den ich meinen seligen Eltern schuldig war und um jeden Preis, auch um den meiner Unbescholtenheit, einhalten musste.
    Du wirst sicherlich verwundert sein, was es mit meinem merkwürdigen Geschenk auf sich hat, und Dich fragen, wieso ich diese Dame sozusagen opfere. Aber auch all die anderen Figuren werden bald nicht mehr existieren und ich bin gewiss, dass Du schnell auf den Kern ihres Geheimnisses stoßen wirst. Du wirst erkennen, dass der äußere Schein dieser Dame – so wie auch oft bei uns Menschen – trügt. Manchmal genügt schon ein ordentlicher Kratzer an der Hülle, um auf den wahren Kern zu stoßen. Möge die Dame Dir und Deinem Patrick zu einer wahrhaft goldenen Zukunft in Eurer neuen Heimat Oregon verhelfen!
    In diesem Sinne sei von Herzen umarmt und möge der Allmächtige stets seine schützende Hand über Euch halten sowie Euch und Euren Kindern ein erfülltes Leben schenken!
    Dein Dich in steter Erinnerung bewahrender Reisegefährte und Mann der vielen Namen
    Éanna ahnte sogleich, was es mit dem Geheimnis der Dame auf sich haben konnte. Aufgeregt legte sie den Brief beiseite, griff zur Schachfigur und ritzte mit einer scharfen Kante der Schachtel die Bleihülle an. Unter der dünnen grauen Schicht trat sogleich ein goldener Schimmer hervor.
    Die Dame bestand aus purem Gold!
    Sie lachte leise auf. Kein Wunder, dass die Pinkertons keine dicken Geldbündel bei der Durchsuchung seiner Sachen gefunden hatten! Winston Talbot, beziehungsweise Morton Hayes, hatte dafür heimlich Goldmünzen gekauft, das geschmolzene Edelmetall zu Schachfiguren gegossen und sie mit einer dünnen Hülle Blei umgeben. Sie nahm an, dass ihm der einstige Vorarbeiter seines Vaters dabei geholfen hatte. Aber wie auch immer er es angestellt hatte, er hatte zweifellos viele Jahre Zeit gehabt, um sich seinen Plan in allen Einzelheiten auszudenken.
    Nach allem, was Éanna aus seinem Brief erfahren hatte, dachte sie nun nicht schlechter über ihn als vorher. Was er getan hatte, mochte vor dem Gesetz Unrecht sein, aber Recht und Gerechtigkeit waren nicht immer dasselbe. Und deshalb hatte sie auch keine Gewissensbisse, sein Geschenk mit Dankbarkeit anzunehmen.
    »Éanna?«, hörte sie im nächsten Augenblick Patricks schläfrige Stimme. »Ist es schon Zeit aufzustehen?«
    »Nein, es ist noch still im Lager«, antwortete sie und legte schnell den Brief und die Dame aus Gold in die Schachtel zurück. Winstons Geständnis würde sie später im Kochfeuer verbrennen.
    »Dann komm noch für eine Weile zu mir, mein Liebling!«
    Sie schlüpfte zu Patrick unter die Decke, gab ihm einen zärtlichen Kuss und schmiegte sich an ihn. »Es wird schön hier in Oregon für uns werden, Patrick«, sagte sie verträumt. »Ich
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