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Verheißenes Land

Verheißenes Land

Titel: Verheißenes Land
Autoren: Leonie Britt Harper
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von der Trailgabelung bis in dieses Tal in Oregon zwar noch viele Beschwernisse, aber gottlob keine tragischen Unfälle, geschweige denn Tote mehr gegeben. Das war ein kleines Wunder, wie auch die erstaunliche Tatsache, dass der Großteil von Siegbert Seligmanns rollender Baumschule den Trail in gutem Zustand überstanden hatte und nun darauf wartete, in die fruchtbare Erde Oregons verpflanzt zu werden und zu einer großen Obstplantage heranzuwachsen.
    Doch sie hatten auch herbe Verluste hinnehmen müssen. Viele Ochsen hatten es nicht bis an die Westküste geschafft. Aber vier von ihren Missouri-Tieren sowie ihre Stute Maggie hatten, wenn auch reichlich abgemagert, die Strapazen überlebt und waren der Notschlachtung auf dem Trail entkommen. Die Ochsen und der Wagen würden Emily und Liam einen guten Start ermöglichen, während Patrick und sie nun Partner der Seligmanns werden würden. So war es zwischen ihnen abgemacht, und wenn sie sich erst einmal niedergelassen hatten und zur Ruhe gekommen waren, würden sie nebenher ihren eigenen kleinen Hof aufbauen und bewirtschaften.
    Plötzlich erinnerte sich Éanna an Winstons Geschenk. Endlich durfte sie nachsehen, was sich in der alten Blechschachtel verbarg. Behutsam, um Patrick nicht aus dem Schlaf zu holen, schlug sie die Decke zurück und rückte vorsichtig von ihm ab. Sie widerstand der Versuchung, ihm einen Kuss auf die Brust zu hauchen. Noch immer kam es ihr wie ein Traum vor, dass sie sich gefunden hatten und dass man solch tiefes Glück empfinden konnte.
    Éanna hatte die Blechschachtel schnell hervorgeholt. Sie kroch nach vorn zum Einstieg, löste die Schnüre der Plane, nahm sie etwas zur Seite und streifte dann das Schleifenband von der Schachtel. Als sie den Deckel aufklappte, fand sie darin einen klein gefalteten Papierbogen von Winston Talbot sowie ein schweres Päckchen, das ungefähr so lang wie ihr Zeigefinger war und in ein sauberes Taschentuch gewickelt war.
    Im nächsten Augenblick hielt sie zu ihrer großen Verblüffung eine von Winstons stumpfgrauen, bleischweren Schachfiguren in der Hand. Es war die Dame. Sie fragte sich, was sie bloß damit anfangen sollte – und wie er nun fortan ohne diese wichtige Figur von seinem Schachspiel Gebrauch machen wollte.
    Dann nahm sie den zweiseitigen, eng beschriebenen Brief zur Hand, den sie erst mehrfach auseinanderfalten musste, und begann zu lesen. Mit jeder Zeile wuchsen ihre Verwirrung und ihr Unglauben, denn Winston Talbot hatte ihr eine erstaunliche Nachricht hinterlassen:
    Meine werte, mir wie eine liebevolle Tochter innig ans Herz gewachsene Éanna!
    Ich hoffe inständig, dass Du nicht gar zu schlecht von mir denkst, wenn Du meine Zeilen gelesen hast, und Nachsicht mit mir und dem hast, was ich zu tun mich in St. Louis gezwungen sah. Du hast es nie glauben wollen, doch einiges von dem, was die Pinkertons am Chimney Rock über mich gesagt haben, entspricht der Wahrheit. Wir alle wissen jedoch, dass die Wahrheit oft ein Wesen mit zwei Gesichtern ist. Diese Männer haben dir und all den anderen nur eine Seite der Wahrheit beschrieben, und zwar eine höchst widerwärtige und abstoßende. Deshalb will ich Dir hier von der anderen berichten, die Dich in Deiner Empörung hoffentlich etwas besänftigt und zu einem milderen Urteil über mich bringt.
    Es entsprach nicht den Tatsachen, als ich dir davon erzählte, dass ich die Bleigießerei meines Vaters eine Weile fortgeführt und danach als Handelsvertreter gearbeitet habe. Die bittere Wahrheit ist vielmehr, dass die Gießerei meines Vaters von einem Kompagnon der Eastern Bank of Industrial Commerce zielstrebig und skrupellos in den Konkurs getrieben wurde. Jener Mann besaß schon damals viele Fabriken dieser Art und sah meinen Vater als lästigen Konkurrenten. Und da dieser nicht an Verkauf dachte, machte er sich daran, ihn auszuschalten. Mein Vater hielt viel auf seine Ehre und er hat den Bankrott und die Tatsache, dass er seinen Gläubigern eine Menge Geld und seinen Arbeitern viel Lohn schuldig bleiben musste, nicht verkraftet. In seiner Verzweiflung sah er keinen anderen Ausweg, als der Schande durch Freitod zu entkommen. Auch meine Mutter, von heute auf morgen in bittere Armut gestürzt, zerbrach daran und folgte ihm nur wenige Jahre später ins Grab. Sie war gerade Anfang vierzig. Damals schwor ich mir, Vergeltung für dieses Verbrechen an meinen Eltern zu üben. Die einzige Möglichkeit, dies zu erreichen, schien mir darin zu liegen, eines Tages eine
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