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Vergraben

Vergraben

Titel: Vergraben
Autoren: Neil Cross
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war sie schon lange nicht mehr so glücklich gewesen. Dann fragte er sich, wann genau sie damit begonnen hatte, die Badezimmertür zu schließen, wenn sie pinkeln musste.
    Er hatte das Gefühl, dass er so etwas wissen sollte – und wenn auch nur, um den Moment benennen zu können, in dem er sicher wusste, dass es endgültig vorbei war.
    Aber es war ihm nicht aufgefallen, und der Moment, in dem er sicher wusste, dass es endgültig vorbei war, war genau jetzt, in genau dieser Sekunde.
    Nachdem der Moment verstrichen war, rief er: »Ich bin spät dran, ich muss los!«, und öffnete die Haustür.
    »Bis morgen, Schatz«, rief sie aus dem Badezimmer, und er lächelte.
    Er nahm den Bus zur Arbeit.

    Die Party fand am Samstag statt. Nathan schlief lange und erwachte davon, dass Sara singend durchs Haus lief, was nicht oft vorkam. Es war ein sonniger Winternachmittag und in der Wohnung hörte man den Verkehrslärm nur wie ein monotones Summen.
    Er stand auf und zog ein altes, ausgeblichenes Band-T-Shirt an. ( Oberaffengeil stand darauf in Grün auf schwarzem Hintergrund. Oberaffengeil fühlte sich Nathan nie, zumindest nicht mehr.) In diesem T-Shirt und einer Calvin-Klein-Unterhose schlurfte er barfuß in das voll gestellte Wohnzimmer.
    Sara saß mit einer Tasse Kaffee am Tisch und las das Feuilleton des Guardian . Nathan fiel ihre Natürlichkeit auf. Er sah, wie hübsch sie war und wie jung. Da ihr Gesicht frisch gewaschen und abgeschminkt war, konnte er die winzigen Unreinheiten und Sommersprossen auf ihrer Nase und ihren Wangen sehen, und ihre Augen wirkten nackt und verletzlich. Ihre Beine waren unbedeckt, sie trug nur eins seiner T-Shirts. An ihr sah es aus wie ein Minikleid. So hatte sie auch immer an jenen weit zurückliegenden Samstagmorgen ausgesehen, als er sie gerade kennenlernte, an jenen Tagen, als es undenkbar schien, dass er sie jemals nicht mehr mögen könnte, oder sie ihn. Oder dass sie jemals aufhören könnten, Sex zu haben.
    Später am Nachmittag kuschelten sie keusch auf dem Sofa und sahen einen Schwarz-Weiß-Film, während die Wintersonne im Westen unterging.
    Um halb sechs begannen sie, sich fertig zu machen. Nathan duschte und rasierte sich. In seinem Schrank hingen einige feine Anzüge – er hatte sie mit seiner ersten Kreditkarte gekauft, als er und Sara gerade ein Paar geworden waren und er leichtsinnig war vor Verliebtheit und dem Gefühl, von diesem wundervollen Mädchen ebenfalls geliebt zu werden. Er besaß auch ein paar feine Hemden (die ebenfalls noch bezahlt werden mussten), und mehrere feine Krawatten. Nathan trug nie Krawatten, er hatte den falschen Job dafür. Aber Sara kaufte immer wieder welche, und mit jeder Krawatte, die er aus dem Seidenpapier wickelte, spürte er, wie ihre Verachtung für seinen mangelnden Ehrgeiz noch ein Stück zunahm. Die Krawatten hingen auf einer Stange in seinem Schrank wie eine grell leuchtende Anklage.
    Als Sara schließlich inmitten einer parfümierten Dampfwolke und in ein weißes Handtuch gehüllt aus dem Badezimmer trat, war Nathan schon fertig angezogen und legte sein Portemonnaie und den Schlüssel auf dem Küchentisch bereit. Er trug einen anthrazitfarbenen Anzug über einem schwarzen T-Shirt.
    Er setzte sich aufs Bett und sah ihr zu. Sie war kein bisschen unschlüssig; sie hatte schon seit Tagen geplant, was sie anziehen würde. Sie fönte ihr kurzes Haar energisch und schwungvoll, sodass ihr schräger Pony über ein Auge fiel. Das Make-up trug sie mit sparsamen, schnellen und geübten Bewegungen auf (aber in einer Weise, die, wie er wusste, ein ebenso gewissenhaftes, jahrelanges Training voraussetzte wie Hochleistungssport). Handtuch runter, Höschen an. BH. Halterlose Strümpfe. Ein Spritzer Parfüm. Kleid. Stöckelschuhe anziehen. Sich plötzlich daran erinnern, das Deo aufzutragen. Sich aus verschiedenen komplizierten Winkeln im Spiegel betrachten, Falten glätten und dabei charmant die Hüften wiegen. Handtasche öffnen. Schlüssel, Adressbuch, Handy und was für andere Geheimnisse die Tasche sonst noch enthält, überprüfen. Sich zum Spiegel vorbeugen. Am Pony herumzupfen und ihn minutiös glatt streichen. Wimperntusche auftragen.
    Sie bestellte ein Taxi und mischte für sich und Nathan Gin Tonic. Der Plan war, Musik zu hören – Saras Musik –, bis das Taxi kam. Nathan hasste die Cranberries.
    Er ging ins Bad und schloss die Tür ab. Seine eigene Nervosität machte ihn ein wenig verlegen, und er drehte die Wasserhähne nur auf, um ein
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