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Vergraben

Vergraben

Titel: Vergraben
Autoren: Neil Cross
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Gesprächsstoff. Das gefällt ihm.« Er kratzte sich am Kinn, dachte nach und sagte dann: »Wir haben uns eine neue Kollektion ausgedacht.«
    »Das ist schön.«
    »Wir nennen sie: ›Glückwunsch, endlich hast du ihn verlassen‹. Bis uns was Besseres einfällt. Der Handel ist ganz verrückt danach. Wenn sie sich so gut verkauft, wie wir denken, schaffen wir dieses Jahr vielleicht wirklich unseren Bonus.«
    Wenn er über die Arbeit sprach, zog sie die Augenbrauen innen immer leicht nach oben. So auch jetzt.
    Er sagte: »Ständig macht jemand mit jemandem Schluss. Warum sollte der Handel das nicht aufgreifen?«
    Sie stellten sich auf den Rasen, ließen die Trauernden vorbei.
    Niemand wusste, was er sagen sollte.
    Die Falte zwischen Hollys Augen.
    Sie sagte: »Du hast es gewusst.«
    Er trat nach einem nassen Grasbüschel.
    »Was habe ich gewusst?«
    »Dass er es war.«
    Er verlagerte sein Gewicht. Sah zum Himmel und atmete tief ein. »Ich hatte den Gedanken, ja.«
    »Warum hast du mir das nie gesagt?«
    »Wie hätte ich es dir sagen können?«
    Sie kniff die Augen zusammen.
    Nathan sagte: »Mir gefällt deine Frisur.«
    Sie strich sich über die Haare. »Es war Zeit für eine Veränderung. Ich hab sie zu lange immer gleich getragen.«
    Er zog an einer Strähne seines eigenen Haars, direkt hinter der Schläfe. »Ich hab heut Morgen in den Spiegel geschaut. Ich krieg graue Haare.«
    »Du hast schon lange graue Haare.«
    Er trat einen Schritt zurück.
    »Warum hast du mir das nie gesagt?«
    »Wie hätte ich es dir sagen können?«
    Er lachte auf, plötzlich und hart; es schreckte eine Krähenschar in den kahlen Bäumen auf. Sie erhoben sich in den tief hängenden Himmel und beschrieben eine langsame, empörte Spirale.
    »Du konntest mich schon immer zum Lachen bringen«, sagte er.
    Sie lehnte sich an ein Grabmal. Es war achthundert Jahre alt und von der Zeit glatt poliert.
    Sie sagte: »Ich muss dir noch was anderes erzählen.«

    Sechs Monate später wurde ihre Tochter geboren.
    Nathan hielt sie noch blutverschmiert in den Armen und sah in ihre schwarzen Augen. Er berührte mit der Nase den warmen Flaum ihrer Kopfhaut. Er atmete ihren schweren, pilzartigen Geruch ein und musste sich setzen, weil er ihn berauschte. Sie umklammerte seinen Finger, und er weinte. Er wiegte sie. Er reichte sie ihrer Mutter, die sie in eine Häkeldecke wickelte.
    Er stand neben dem Bett und sah zu.

    Bob starb nicht. Aber sein Gehirn hatte unter dem Sauerstoffmangel gelitten; es hatte seine höheren Funktionen verloren. Bob befand sich in einem Zustand des konstanten Dahinvegetierens. Das Zentrum seines Bewusstseins war zerstört worden.
    Bobs Bibliothek wurde beschlagnahmt. Die Tonbandrollen wurden untersucht, und es stellte sich heraus, dass nichts darauf war, außer Bobs Stimme, die in einem leeren Raum Fragen stellte.
    Unter den Informationen, die den Festplatten seiner Computer entnommen wurden, fanden sich die ersten fünfzig Seiten einer Doktorarbeit, die 1988 abgebrochen worden war, als die Universität sein Thema ablehnte.
    1988 – fünf Jahre, bevor Bob Nathan kennengelernt hatte, zu der Zeit, als Nathan in der WG am Ende der Maple Road wohnte.

    Nathan besuchte ihn manchmal. Das sagte er Holly nicht. Er fuhr den ganzen Weg zum Krankenhaus und setzte sich neben sein Bett und betrachtete ihn einfach. Manchmal machte Bob Geräusche. Er heulte oder keuchte oder knurrte. Und manchmal öffnete er den Mund oder versuchte sich umzudrehen. Manchmal öffnete er seine blinden Augen. Nathan sah zu, wie sie sich in ihren Höhlen drehten. Aber was auch immer aus diesem Körper »Bob« gemacht hatte, war verschwunden.
    Nathan wurde nachdenklich.
    Einmal brachte er einen Kassettenrekorder mit. Er stellte ihn neben Bobs Bett und nahm die Stille auf. Er spielte das Band mehrmals ab. Aber nie hörte er Bobs Stimme oder irgendeine andere. Nichts als das rauschende Schweigen und das zufällige, entfernte Geklapper des Krankenhauses waren darauf.
    Er warf die Kassette weg. Unter dem Reserverad im Kofferraum seines Wagens holte er das Band hervor, das er aus Bobs Wohnung mitgenommen hatte. Er spielte mit dem Gedanken, es sich anzuhören. Aber er wusste, es würde leer sein. Also spulte er es ab, zerschnitt es mit einer Schere und verbrannte es.
    Dann ging er hinein zu seiner Frau und seiner Tochter.
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