Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Vergraben

Vergraben

Titel: Vergraben
Autoren: Neil Cross
Vom Netzwerk:
Nathan nicht viel übrig hatte. Oder schräge Rastafaris, ein gutmütiger Hippie namens Fuzzy Rob, ein mit Speed dealender Biker namens Carnie Frank, ein krankhaft fettleibiger Brummifahrer namens Reds aus der Karibik und gefährlich aussehende, sarkastische Männer, die ausgebeulte, alte Jeans trugen und Gefängnis-Tattoos hatten.
    Aber an jenem Nachmittag lümmelte nur ein großer, schmuddeliger, katzenartiger Mann auf einem der alten Sofas. Er trug ein cremefarbenes Hemd und einen marineblauen Anzug mit fadenscheinigen Manschetten und hatte langes, verfilztes Haar, das er offensichtlich seit geraumer Zeit nach hinten gekämmt hatte, anstatt es zu waschen.
    Nathan nickte zum Gruß, setzte sich auf den Boden und schlang die Arme um seine knochigen Knie. Der Fremde zündete sich mit einem Feuerzeug eine John Player Special an. Als sie brannte, beugte er sich vor und streckte Nathan die Hand entgegen.
    »Bob.«
    Nathan schüttelte ihm die Hand. Sie war sehr groß. Diese Art der Begrüßung verunsicherte Nathan immer, er fühlte sich dabei wie ein Kind, das spielt, erwachsen zu sein.
    Pete saß im Schneidersitz vor der monströsen, wackeligen Stereoanlage. Er trug einen abgewetzten roten Bademantel und schmutzige weiße Socken.
    Bob hatte eine lederne Aktentasche mit abgestoßenen Ecken dabei, vielleicht ein Schnäppchen aus einem Wohlfahrtsladen. Er nahm ein Diktiergerät heraus, stellte es vor Pete auf den Boden und fragte: »Fangen wir an?«
    »Was wird das denn?«, wollte Nathan wissen.
    Bob holte einen Spiralblock und einen zerkauten Kugelschreiber hervor. »Der Freund eines Freundes hat mir von Pete erzählt. Er ist einverstanden, dass ich ihn interviewe.«
    »Warum?«
    »Für meine Recherchen.«
    »Cool. Bist du Journalist?«
    »Nein. Ich recherchiere nur.«
    »Für …?«
    »Meine Doktorarbeit.«
    Nathan schaute vom einen zum andern und wieder zurück – vom schwerfälligen Bob mit den großen Händen zu Pete in seinem zerschlissenen, scharlachroten Bademantel.
    »Echt?«, fragte er.
    »Ja.«
    »Was recherchierst du? Musik?«
    Musik war das Einzige, was Pete interessierte – Musik und ein Mädchen namens Emma, das ihn vor achtzehn Monaten verlassen hatte.
    Bob warf Nathan einen strengen Blick zu, und Pete schaltete sich ein: »Er will was über meinen Bruder wissen.«
    »Alter, ich wusste ja gar nicht, dass du einen Bruder hast.«
    »Darum geht’s ja.«
    »Wie? Ist der im Knast oder so? Schwarzes Schaf, was?«
    »Wenn du so freundlich wärst …«, sagte Bob, was soviel bedeutete wie jetzt verdammt noch mal das Maul zu halten . »Willst du dabei vielleicht lieber allein sein?«, wandte er sich an Pete.
    »Nee. Nathan kann bleiben, wenn er will.«
    Nathan wollte.
    »Wenn du bleibst, dann unterbrich uns bitte nicht. Und stell keine Fragen«, ermahnte ihn Bob.
    »Okay, ist ja gut. Herrgott.«
    Bob beugte sich ein wenig vor und sprach in das Diktiergerät: »4. Juli 1993. 13.30 Uhr. Der Interviewte ist Pete King, Alter …«
    »Vierundzwanzig.«
    »Pete King, Alter vierundzwanzig.«
    Einen Moment lang dachte Nathan, Pete würde gleich loslachen. Aber stattdessen setzte er sich auf – im Schneidersitz und mit geradem Rücken – und begann zu erzählen.

    Bob: Also, wann ist es passiert?
    Pete: Im Sommer 1981. Juni oder Juli oder so. Ich glaube, es war Juni.
    Und dein älterer Bruder …?
    David hieß er. Wir wohnten auf dem Land, unser Vater hatte einen Bauernhof. Als ich klein war, folgte ich David überall hin. Er zeigte mir alle möglichen Geheimverstecke. Er nannte mich eine Klette, aber es machte ihm nicht wirklich was aus – nicht mal, wenn ich allein loszog, um einen Blick in seine Schmuddelheftchen zu werfen.
    [Lachen]
    Er hatte lauter alte zerfledderte Ausgaben von   Men Only   und   Razzle   und   Club . Er bunkerte sie in einer Kiste zwischen den Wurzeln einer riesigen alten Eibe unten am Fluss, genau da, wo das Grundstück unseres Vaters zu Ende war. Der Baum muss fünfhundert Jahre alt gewesen sein, und David benutzte ihn, um dort seine schmutzigen Hefte zu verstecken.
    Wie alt warst du – als David starb?
    Zwölf, glaube ich. Zwölf, fast dreizehn.
    Wie ist es passiert?
    Das ist wirklich dumm gelaufen. Er half unserem Dad, das Schöpffass zu reparieren. Es war Freitagnachmittag, und er beeilte sich zu sehr. Sein Arm verfing sich, dann wurde er herausgerissen. Dad war bei ihm. Er rannte los, um den Krankenwagen zu rufen, aber als der ankam, war David schon tot.
    Und wie hast du dich
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher