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Vergossene Milch

Vergossene Milch

Titel: Vergossene Milch
Autoren: Chico Buarque
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Tages , aber es gibt ja wohl noch weniger unselige Situationen zum Aufwachen als neben einer Tochter, die heulend am Bett sitzt. Und offensichtlich hast du mir wieder nicht meine Zigaretten mitgebracht, von Zigarren ganz zu schweigen. Dass es verboten ist, hier drin zu rauchen, weiß ich, aber das kriegen wir irgendwie hin, ich verlang ja nicht, dass du mit Kokain ins Krankenhaus kommst. Jetzt erzähl ich dir, wie dein Großvater eines schönen Tages in Paris beschloss, mit mir in einen Wintersportort zu fahren. Papa war ein Mann mit vielen Interessen, aber diese sportliche Seite kannte ich noch nicht. Mit siebzehn, fand er, sei es höchste Zeit, dass ich Schnee kennenlerne, also unternahmen wir die lange Zugfahrt nach Crans-Montana in den Schweizer Alpen. Am Abend quartierten wir uns im Hotel ein, ausgestattet mit Stiefeln und Handschuhen und Wollmützen, Skiern und Stöcken, die komplette Ausrüstung. Ich wollte schon schlafen gehen, da rief mich Papa in sein Zimmer, setzte sich auf eine Chaiselongue und klappte ein Ebenholzetui auf. Nanu, was ist das, Papa? Das ist Schnee, was denn sonst, sagte er sehr ernst, Papa legte größten Wert darauf, immer ernst zu bleiben. Mit einem kleinen Spatel teilte er das schneeweiße Pulver in vier Linien auf, dann gab er mir ein silbernes Röhrchen. Aber es war nicht so ein Mistzeug, wie es die Trottel hier bei uns schnupfen, nein, es war superreines Kokain, das nahm nur, wer es sich leisten konnte. Man bekam keinen bitteren Geschmack im Mund, verlor nicht den Appetit und machte nicht schlapp, und das stimmt genau, denn anschließend bestellte er die Nutten aufs Zimmer. Manchmal tut mir meine Mutter leid, weil Papa ihr auch nach seinem Tod keine Ruhe gelassen hat. Deine Großmutter musste den Polizeichef zu Hause empfangen und sich unverschämte Fragen gefallen lassen, denn es ging das Gerücht, mein Vater sei auf Befehl eines betrogenen Ehemanns umgebracht worden. Weil er nämlich beim Betreten seiner Garçonnière erschossen wurde, aber Mama las nur
O Paiz
, und die Berichte darin schrieben die Tat der Opposition zu. Und es stimmt auch, dass das Unglück Mama nicht schlecht stand, schwarze Kleider passten zu ihrem Naturell. So wie bei dir jede Farbe grell wirkt, die Sonne dich nicht bräunt, heute kann ich dir sagen, dass es mir weh tat, wenn du damals, als junges Mädchen, beim Schminken daneben gegriffen hast. Du hast mich niemals überzeugt in deiner glorreichen Zeit, wenn du mit deinem Freund im Bentley-Cabrio geknutscht hast. Im Brautkleid warst du nicht wiederzuerkennen, auch nicht mit dem Schwips beim Empfang im Jockey Club, für mich sah es aus, als wärst du nicht bei dir, als du mir mit Sonnenbrille und roten Handschuhen vom Deck der
Conte Grande
gewinkt hast. Von der Hochzeitsreise bist du ganz aufgekratzt zurückgekommen, hast enthusiastisch von einer Audienz bei Pius  XII . im Vatikan erzählt. Ich habe mich bemüht, deine Begeisterung zu teilen, dir sogar gratuliert, als du mir deinen Pass gezeigt hast, wo man an deinen Familiennamen Assumpção einen Palumba angehängt hatte. Ich muss gestehen, dass ich mich auch über Amerigo Palumba amüsiert habe, vor allem beim Anblick der kleinen Ehrennadel an seinem Revers mit der Krone der italienischen Monarchistenpartei. Das seidene Einstecktuch, die Manschettenknöpfe mit Brillanten, die Perle auf der Krawatte, der ganze Stil war schon etwas komisch, wenn man bedenkt, dass der alte Palumba in São Paulo mit Schweineschlachten reich geworden war. Ich weiß nicht, ob dem Sohn die Würste peinlich waren, aber als im Krieg die Antifaschisten seine Kühlhäuser in Brand steckten, hat er bestimmt die Hände gen Himmel erhoben. Nach dem Krieg kam er in die Hauptstadt, spekulierte an der Börse, sprach vom Geld wie von Leuten mit Namen, und als er dich frisch verheiratet in ein Stadtpalais am Hang in Flamengo einziehen ließ, war er so taktvoll, mir zu erzählen, was er an Miete zahlte. Und du warst immer noch merkwürdig glücklich, mit der Einrichtung des Palais im Stil Second Empire beschäftigt. Du bist zu den Pferderennen im Hipódromo gegangen, ins Schwimmbad im Copacabana Palace, wenn du Tango tanztest, hast du mich fast an deine Mutter erinnert. Dann hat Amerigo Palumba mich betrogen und ist verschwunden. Im Monat darauf, wegen Zahlungsunfähigkeit aus dem Palais rausgeworfen, hast du zu deiner natürlichen Art zurückgefunden und mich, leicht gebeugt, so angesehen, als wolltest du sagen, hast du das gesehen?
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