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Vergossene Milch

Vergossene Milch

Titel: Vergossene Milch
Autoren: Chico Buarque
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Rechnungen kamen, für Ratenzahlungen für das Cabrio, von der Reederei, vom Antiquitätengeschäft, von allen Seiten regnete es Wechsel, Hypotheken, Schuldscheine, und du hast immer nur bemerkt, habe ich es nicht gesagt? Über Amerigo Palumba habe ich danach nichts Vertrauenerweckendes gehört. Ich weiß nicht, ob er meine Gelder in Adelstitel investiert hat, angeblich hat er sich mit dem abgesetzten italienischen König verbrüdert. Jemand hat gesehen, wie er im Kasino von Estoril einen Haufen Geld verloren hat, zur größten Freude von ein paar alten Herzögen, denn beim Roulette Geld gewinnen, das tun nur Neureiche. So wie man früher sagte, Vater reich, Sohn adlig, Enkel arm. Der arme Enkel ist zufällig in deinem Bauch gewesen, Eulálio d’Assumpção Palumba, der Junge, den wir großgezogen haben, völlig zu Recht ist er dann rebellisch geworden. Als Erwachsener ist er zur Vernunft gekommen, aber du erinnerst dich doch bestimmt daran, wie er sich in den Kopf gesetzt hat, Kommunist zu werden. Jetzt stell dir vor, was deine Großmutter gesagt hätte, die Enkelin mit dem Sohn eines Einwanderers verheiratet und der Urenkel Kommunist wie die Chinesen. Dein Sohn hat auch eine Kommunistin geschwängert, die hat das Kind im Gefängnis gekriegt und ist im Gefängnis gestorben. Du sagst, er selbst sei auf der Polizeiwache ums Leben gekommen, und ich kann mich tatsächlich vage an so was erinnern. Aber auf die Erinnerung von alten Leuten ist kein Verlass, und jetzt bin ich sicher, dass ich den Jungen noch neulich gesehen habe, bei bester Gesundheit. Er hat mir sogar eine Kiste Zigarren geschenkt, aber was rede ich, der, der gestorben ist, das war ein anderer Eulálio, der sah ähnlich aus wie Amerigo Palumba, nur dünner. Der dünne Eulálio, der ist Kommunist geworden, weil er schon im Gefängnis geboren ist und angeblich zu früh abgestillt wurde. Deshalb hat er gekifft und seine Lehrerinnen geschlagen, alle Schulen haben ihn rausgeworfen. Aber obwohl er ein halber Analphabet ist und ein Pyromane, hat er sich Arbeit beschafft und Geld gemacht, neulich hat er mir eine Kiste Zigarren geschenkt. Er hat mich zu Hause besucht mit einer Freundin, die hatte einen nackten Bauch und einen Ring im Nabel. Die hätte mir als Schwiegertochter gefallen, aber die, die im Gefängnis ein Kind gekriegt hat, war eine andere. Ich weiß noch genau, wie sie mich angerufen haben, ich soll das Baby im Militärkrankenhaus abholen, der Oberst war höflich, er hat gesagt, dass er mich von früher kennt. Ich war richtig gerührt, als ich den Knirps gesehen habe, praktisch Vollwaise, denn Amerigo Palumba war weit weg und du warst im Gefängnis mit Kontaktverbot. Aber warte mal, das kann nicht sein, denn du bist mit dem Kind auf dem Arm mit mir zusammen aus dem Krankenhaus gekommen. Ich weiß nur, dass Eulálio d’Assumpção Palumba Junior von uns getauft und großgezogen worden ist, heute ist er der Junge, der mit dir im Auto spazieren fährt und mir kubanische Zigarren schenkt. Neulich war er hier bei uns mit einer Freundin, die hatte einen Ring im Nabel und sah gar nicht nach Kommunistin aus. Und der Junge wirkte auch nicht so, als ob er Flugblätter gegen die Diktatur verteilt. Du verwechselst ihn bestimmt mit dem anderen, dem dunkleren Emílio, dem Schürzenjäger, der eine Affäre mit einer Japanerin hatte und seine Cousine geschwängert hat. Aber das war, wenn ich mich nicht täusche, ein Sohn von dem Eulálio mit dem Mädchen mit dem Nabelring, manchmal wird mein Kopf etwas wirr. Ein fürchterliches Durcheinander ist das, meine Liebe, willst du mir gar keinen Kuss geben? Es ist nicht schön, so allein zu bleiben und gegen die Decke zu reden.

10
    Wenn es nach mir ginge , würde ich nie Geburtstag feiern, aber der Junge ist überraschend in der Wohnung erschienen. Er hat mir seine Freundin mit dem nackten Bauch vorgeführt, dann hieß es Großvater hier, Großvater da, und nur meine Tochter fand es nicht witzig. Obwohl der Junge sich auf meine Kosten amüsierte, weiß ich, dass er stolz war auf meine hundert Jahre, auf hochbetagte Verwandte sind alle Leute stolz. Ich hätte auch gern meinen Ururgroßvater gekannt, hätte mir gewünscht, dass mein Vater etwas länger bei mir geblieben wäre, vor allem hätte ich mir gewünscht, dass Matilde mich überlebt und nicht umgekehrt. Ich weiß nicht, ob es ein Schicksal gibt, ob jemand den Faden spinnt, aufwickelt, abschneidet. In den Fingern einer Spinnerin wäre Matildes Lebensfaden vermutlich
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