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Vergiss die Toten nicht

Vergiss die Toten nicht

Titel: Vergiss die Toten nicht
Autoren: Mary Higgins Clark
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Erleichterung war er kurz darauf eingestellt worden.
    Doch anders als erwartet besserte sich Jimmys Gemütszustand nach dem Arbeitsantritt nicht. Lisa hatte sogar mit einem Psychologen gesprochen, der sie gewarnt hatte, Jimmy leide offenbar an einer Depression, die er wahrscheinlich nicht allein überwinden könne. Aber als sie Jimmy vorschlug, eine Therapie zu machen, hatte dieser sich wütend geweigert.
    Seit einigen Monaten fühlte sich Lisa viel älter als dreiunddreißig. Der Mann, der nun neben ihr im Bett lag, war nicht mehr ihr Sandkastenfreund, der immer gewitzelt hatte, er habe sie schon im Laufstall geliebt. Inzwischen verhielt Jimmy sich unberechenbar. Er brüllte sie und die Kinder an und entschuldigte sich im nächsten Moment unter Tränen. Außerdem hatte er zu trinken angefangen und genehmigte sich nun jeden Abend zwei oder drei Gläser Scotch, die er nicht sehr gut vertrug.
    Lisa war sicher, dass diese Veränderung nicht mit einer Affäre zusammenhing. Inzwischen verbrachte Jimmy jeden Abend zu Hause und hatte sogar das Interesse an den gelegentlichen Baseballabenden mit seinen Freunden verloren. Selbst seine Schwäche für manchmal riskante Pferde- und Baseballwetten hatte sich gelegt. Am Zahltag überreichte er seiner Frau den uneingelösten Gehaltsscheck und die Lohnabrechnung.

    Lisa hatte versucht, ihm zu erklären, dass er sich keine finanziellen Sorgen mehr zu machen brauchte. Die Schulden auf ihrer Kreditkarte, die sich während seiner Arbeitslosigkeit angesammelt hatten, waren fast abbezahlt. Doch das schien ihn nicht zu kümmern. Eigentlich war ihm mittlerweile alles egal.
    Sie wohnten noch immer in dem kleinen Häuschen in Little Neck, einem Stadtteil von Queens, das bei ihrer Hochzeit vor dreizehn Jahren eigentlich als Übergangslösung gedacht gewesen war. Doch obwohl in den ersten sieben Jahren drei Kinder gekommen waren, hatten sie anstelle eines neuen Hauses Stockbetten angeschafft. Früher hatte Lisa darüber gewitzelt, aber inzwischen ließ sie es lieber, weil sie Jimmy nicht kränken wollte.
    Als der Wecker schließlich klingelte, stellte sie ihn ab und drehte sich seufzend zu ihrem Mann um. »Jimmy!« Sie rüttelte ihn an der Schulter. »Jimmy!«, rief sie wieder, diesmal ein wenig lauter, versuchte aber, sich ihre Besorgnis nicht ansehen zu lassen.
    Endlich gelang es ihr, ihn zu wecken. »Danke, Schatz«, murmelte er benommen und verschwand im Bad. Lisa stand auf, ging zum Fenster und zog die Jalousie hoch. Es versprach ein sonniger Tag zu werden. Nachdem sie sich das hellbraune Haar zu einem Knoten aufgesteckt hatte, griff sie nach ihrem Morgenmantel. Da sie auf einmal nicht mehr schläfrig war, beschloss sie, mit Jimmy zu frühstücken.
    Als er zehn Minuten später in die Küche kam, schien er erstaunt, sie dort vorzufinden. Er hat gar nicht mitgekriegt, dass ich aufgestanden bin, dachte Lisa traurig.
    Sie beobachtete ihn gründlich, achtete allerdings darauf, dass er ihren forschenden Blick nicht bemerkte. Heute Morgen wirkt er so schrecklich hilflos, sagte sie sich. Bestimmt glaubt er, ich würde wieder mit dem Thema Therapie anfangen.

    »Der Tag ist viel zu schön, um im Bett zu bleiben«, verkündete sie deshalb bemüht fröhlich. »Ich dachte, ich setze mich auf ein Tässchen Kaffee zu dir und schaue mir später draußen an, wie die Vögel aufwachen.«
    Jimmy war ein kräftiger Mann. Sein früher feuerrotes Haar hatte inzwischen einen Kupferton angenommen, und durch das Arbeiten im Freien war seine Haut tief gebräunt. Lisa stellte fest, dass seine Falten tiefer geworden waren.
    »Das freut mich aber, Lissy.«
    Er trank seinen Kaffee im Stehen und lehnte den Toast und die Cornflakes ab, die Lisa ihm anbot.
    »Mit dem Abendessen brauchst du nicht auf mich zu warten«, meinte er. »Die hohen Tiere halten heute eine ihrer Fünf-Uhr-Besprechungen auf Cauliffs schicker Jacht ab.
    Vielleicht will er mich ja in stilvollem Rahmen rausschmeißen.«
    »Warum sollte er dich denn rausschmeißen?«, fragte Lisa und hoffte, dass man ihr ihren Schreck nicht anhörte.
    »War nur ein Witz. Aber vielleicht würde er mir sogar einen Gefallen damit tun. Wie läuft das Fingernagelgeschäft? Könntest du uns damit durchfüttern?«
    Lisa umarmte ihren Mann. »Ich glaube, dir würde es viel besser gehen, wenn du mir erzählst, was dich bedrückt.«
    »Jeder hat ein Recht auf seine Meinung.« Jimmy Ryan nahm seine Frau fest in seine kräftigen Arme. »Ich liebe dich, Lissy.
    Das darfst du nie
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