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Vergeltung

Vergeltung

Titel: Vergeltung
Autoren: Val McDermid
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aus seinem Grübeln. Die Stimme klang weit weg und abgehackt. »Dr. Hill? Hier spricht DC Singh. Ich spreche über DS Ambrose’ Telefon, weil er am Steuer sitzt und nicht abgelenkt werden möchte. Sie sagten, Sie wissen, wo Vance ist?«
    »Geben Sie mir Alvin. Es ist wichtig. Ich hab nicht die Zeit, alles noch einmal zu erklären.«
    Knistern und Stimmengewirr folgte. Dann dröhnte Ambrose’ Stimme: »Was ist denn verdammt noch mal los, Doc? Ich dachte, Vinton Woods wär’s.«
    »Das ist sein Basislager, aber da ist er im Moment nicht.«
    »Und wo ist er im Moment?«
    »Ich denke, er ist bei meiner Mutter«, erklärte Tony. »Er will Blut sehen, Alvin. Das mit dem Haus war nur der Anfang. Meine Mutter ist meine einzige Blutsverwandte.«
    »Ein ganzes Team ist auf dem Weg nach Vinton Woods. Wie können Sie sicher sein, dass er nicht dort ist?«
    »Weil Carol Jordan vor Ort ist und sagt, dass keiner im Haus ist.«
    »Können Sie ihr vertrauen?«
    »Ja.« Tony brauchte keine Sekunde lang darüber nachzudenken. Vielleicht konnte sie ihn nicht mehr ausstehen, doch das hieß nicht, dass sie ihn in so einer wichtigen Sache anlügen würde.
    »Und Sie meinen, er ist im Haus Ihrer Mutter? Können Sie das irgendwie belegen, Doc?«
    »Nein«, antwortete Tony. »Aber ich habe lebenslange Erfahrung im Umgang mit Geisteskranken wie Vance. Ich sage Ihnen, er will Blut sehen. Er hat Carols Bruder getötet, und meine Mutter ist jetzt der nächste logische Schritt.« Es wäre sinnlos, ihm Vance’ falsche Interpretation der Beziehung zwischen Vanessa und Tony zu erklären. »Ich bin gerade auf dem Weg dorthin. Wahrscheinlich noch fünfzehn Minuten entfernt.«
    Es folgte eine lange Pause, in der nur statische Geräusche zu hören waren, dann sagte Ambrose: »Geben Sie DC Singh die gottverdammte Adresse. Und machen Sie bloß keine Dummheiten.«
    Tony tat wie geheißen, zumindest was den ersten Teil betraf. »Wie weit weg sind Sie?«, fragte er DC Singh.
    »Wir sind auf der M62, ein paar Meilen vor der Ausfahrt Bradfield.«
    Er hatte also einen Vorsprung, zumindest einen kleinen. Und Vance war ihnen allen weit voraus.

54
    D iverse Autos parkten in der ruhigen Straße in Halifax. Nicht jedes Haus hatte eine Einfahrt, die alle Fahrzeuge der Bewohner aufnehmen konnte. Schon gar nicht an einem Samstagabend, wenn Leute zum Dinner und zum Jammern über die Regierung zusammenkamen. Das passte Vance gut in den Kram. Ein weiteres geparktes Auto würde niemandem auffallen. Er stellte sich zwischen einen Volvo und einen BMW, drei Häuser von Vanessa Hills Wohnsitz entfernt. Über sein Smartphone rief er die Überwachungskameras ab und überprüfte ihr Wohnzimmer. Das Bild war winzig und die Qualität eher schlecht, doch er konnte immerhin erkennen, dass sie immer noch auf ihrem hochherrschaftlichen Sofa saß und auf den Fernseher starrte.
    Es war schwer, sich vorzustellen, dass Tony Hill sich in diesem Raum wohl fühlte, denn er war ausschließlich auf die Bedürfnisse einer einzelnen Person ausgerichtet. Wo saß er, wenn er zu Besuch kam? Setzten sie sich in die sterile Küche, oder machte Vanessa es ihren Gästen im Wintergarten etwas gemütlicher? Oder hatte ihr Sohn den Mangel an Geschick im Umgang mit Menschen von ihr geerbt? Im Laufe der Jahre hatte Vance seine Begegnungen mit diesem seltsamen Mann, der ihn mehr aufgrund seines Gespürs als durch klare forensische Beweise gefasst hatte, immer wieder durchgespielt. Er hatte sich oft gefragt, ob Hill vielleicht Autist war, so unbeholfen wirkte er in Gesellschaft, wenn es nicht ausschließlich darum ging, Informationen von einer Person zu bekommen. Aber vielleicht war das alles in Wirklichkeit viel uninteressanter. Vielleicht war er einfach bei einer Mutter aufgewachsen, die zu Hause keine sozialen Kontakte pflegte, und somit hatte er das als Kind nie lernen können.
    Wie auch immer der Sachverhalt sein mochte, es würde sich ohnehin jetzt alles ändern.
    Vance schaute sich ein letztes Mal um und vergewisserte sich, dass niemand in der Nähe war; dann stieg er aus dem Wagen und entnahm dem Kofferraum eine Reisetasche. Er ging zielstrebig die Straße hinauf und bog in Vanessas Einfahrt ein, als wohne er dort. Seine Gummisohlen machten kein Geräusch, als er an dem Mercedes vorbeiging. Zwischen der aus Holz erbauten Garage aus den dreißiger Jahren und dem Haus war ein schmaler Spalt, gerade breit genug für einen Erwachsenen, der sich seitwärts hineinschob. Vance schlüpfte hinein und
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