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Vergeltung

Vergeltung

Titel: Vergeltung
Autoren: Val McDermid
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tauschten. Es war, als wüsste er, wie wenig Beweismittel sie hatten, und wollte sie verhöhnen.
    Paula hätte ihn gern sofort wegen Mordverdachts verhaftet. Ihre jahrelange Berufserfahrung sagte ihr, dass dieser Mann etwas zu verbergen hatte. Doch wenn sie das wirklich tat, dann würde die Uhr ticken, und sie hätten nur sechsunddreißig Stunden, um ihn zu befragen, bevor sie ihn anklagen oder laufenlassen mussten. »Ich meine, Sie sollten uns reinlassen«, sagte Paula recht barsch.
    »Ich denke nicht«, entgegnete Fletcher. In diesen drei Worten lag eine Entschlossenheit, die Paula zur Weißglut brachte. Sie wusste, dass sie sich nicht täuschten, und sie würde ihn nicht in letzter Minute davonkommen lassen.
    Paula legte die Hand hinters Ohr und beugte sich in Richtung Hausflur. »Hören Sie das auch, Sergeant? Ruft da nicht jemand um Hilfe?« Sie machte einen Schritt nach vorne, so dass ihr ausgestreckter Ellbogen Fletchers Brust berührte.
    Jetzt schien Fletcher nervös zu werden. »Da schreit niemand nach Hilfe. Das ist das Spiel des Tages, du blödes Weib. Das sind Fußballfans.«
    »Sie haben recht, Kollegin«, sagte Kevin und stellte sich hinter sie. Fletcher würde zurückweichen müssen, oder er würde zur Seite gedrückt werden. Er stellte sich breitbeiniger hin und wich keinen Zentimeter. Kevin wandte sich um und rief in die Galerie: »Wir haben hier drin jemanden, der um Hilfe ruft.«
    In diesem Moment brach ein Chaos aus Lärm, hektischer Bewegung und schwarzen Uniformen los. Paula presste sich gegen die Wand, während das Einsatzkommando Fletcher zu Boden schlug und ihm Handschellen anlegte. Sie stürmten ins Wohnzimmer am Ende des Ganges, als erwarteten sie, dass Osama bin Ladens Geist dort auf sie lauerte. Zwei von ihnen kehrten zurück zum Flur und brachen durch die Tür in den vorderen Raum. Paula konnte kurz Teile eines Badezimmers erkennen, bevor die beiden Männer sich umwandten und die Tür gegenüber aufstießen. Sie blieben auf der Schwelle stehen, und einer von ihnen stammelte: »Verdammte Scheiße.«
    Paula schob sich an ihnen vorbei und warf einen Blick in das Zimmer. Was da auf dem Doppelbett zu sehen war, ließ den Betrachter alles andere ignorieren. Die Überreste einer Frau schienen in einem Ozean aus Rot zu schwimmen. Ihr Körper war zu Streifen zerschlitzt, und das Fleisch hing stellenweise von den Knochen. Genau wie Tony vorhergesagt hatte, war ihr Kopf der einzig intakte Körperteil. Blutspritzer und Tropfen bedeckten die Wände, wie bei einer modernen Kunstinstallation. Von Übelkeit überwältigt, wandte Paula sich um. Tony hatte auch in einer anderen Hinsicht recht gehabt. Die Sache war wirklich dringlich gewesen. Und sie waren leider nicht schnell genug gewesen.
    Kevin las dem am Boden liegenden Fletcher seine Rechte vor. Einer der schwarzuniformierten Kollegen bestellte über Funk die Spurensicherung, ein anderer teilte Superintendent Reekie telefonisch mit, was sie gefunden hatten. Wenn das ein glorreicher Abgang war, dann konnte man sich den getrost in den Hintern schieben, dachte Paula.
    Die beiden Beamten vor der Schlafzimmertür gingen nun, von Paula gefolgt, vorn ins Wohnzimmer. Paula musterte die staubige Unordnung und bedachte den laufenden Fernseher mit einem leeren Blick. »Er hat sich tatsächlich das Spiel des Tages angeschaut«, stellte sie müde fest. »Mein Fehler.« Neben dem Fernseher thronte ein einzelnes, gerahmtes Foto. Sicher, sie war da noch ein paar Jahre jünger, doch bestand kein Zweifel, dass die Frau auf dem Bett Kerry Fletcher war.
    »Sie hätte nach Hause kommen sollen«, schrie Fletcher. »Das wäre alles nie passiert, wenn sie einfach nach Hause gekommen wäre.«

    Tony schoss die Autobahnausfahrt entlang und schwenkte mit quietschenden Reifen in den Kreisverkehr ein. Er umrundete den Kreisel und raste schließlich die Autobahn wieder in entgegengesetzter Richtung hinunter. Sobald er eine Hand vom Lenkrad nehmen konnte, griff er nach dem Telefon und drückte die Wahlwiederholung, um mit Ambrose zu sprechen. Er landete direkt bei der Mailbox. Genauso, wie es Carol gegangen war.
    »Bitte nicht«, jammerte er. »So ein Mist.« Das Telefon gab einen Piepton von sich. »Alvin, hier ist Tony. Ich weiß, wo Vance ist. Bitte rufen Sie mich zurück, sobald Sie können.«
    Weitere fünf Meilen zurück zur M62 und dann noch ein paar Meilen zur Abfahrt Halifax. Was, wenn er zu spät kam? Wie würde er damit leben können?
    Sein Handy läutete und riss ihn
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