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Vergeltung

Vergeltung

Titel: Vergeltung
Autoren: Val McDermid
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Wut kochte. »Ich werde dieses Haus nie wieder betreten«, sagte er abschließend. »Ich möchte dich nie wieder sehen. Um die Modalitäten deiner Bestattung kümmerst du dich besser im Voraus, Vanessa. Denn ich werde dich nicht mal begraben.«
    Und dann war er gegangen, mit einer Leichtigkeit im Herzen, die ihm vollkommen fremd war. Reinen Tisch zu machen war eine wunderbare Sache. Er verstand ganz genau, auf welche Art der Erleichterung Vance aus war.
    Plötzlich kam ihm die Erkenntnis. Er hatte seine Mutter besucht. Hätte ihn dabei jemand beobachtet, so hätte diese Person nicht wissen können, warum er dort war oder was sich dort abgespielt hatte. Ein treusorgender Sohn besucht seine Mutter und verlässt das Haus lächelnd und sichtlich gut gelaunt. Der Beobachter hatte Bericht erstattet, und Vance hatte die falschen Schlüsse gezogen.
    Mit einem Mal wusste Tony ganz genau, wo Jacko Vance sich befand.

53
    P aula hüpfte von einem Fuß auf den anderen und zog nervös an ihrer Zigarette. »Wo bleiben sie bloß?«, quengelte sie und warf erneut suchende Blicke in die Zugänge zu dem schmutzig grauen Betonsilo, bei dem sie warteten. Über ihren Köpfen erhoben sich einundzwanzig Stockwerke Plattenbauwohnungen mit dünnen Wänden, billiger Farbe und welligem Laminat, das sich von den feuchten Betonböden löste. Hier gab es mehr gestohlene Fernsehgeräte als warme Mittagessen. Skenby Flats. Bradfields Antwort auf Blade Runner.
    »Die verspäten sich doch immer. Das ist ihre Art zu zeigen, wie wichtig sie sind«, brummte Kevin und versuchte, eine Ecke zu finden, in der man sich nicht fühlte, als stände man in einem Windkanal. »Wo ist Sam?«
    »Er ist nach Temple Fields gegangen, um Kerry aufzuspüren. Man weiß ja nie, vielleicht ist sie mittlerweile so weit, dass sie ihn wegen ihres jahrelangen Elends verpfeifen möchte.« Paula seufzte und gab dabei eine Wolke Zigarettenrauch von sich. Sie schien direkt in den Beton einzusickern. »Ich kann einfach nicht verstehen, wie man schweigend dabei zusehen kann, wenn ein Mann das eigene Kind missbraucht.« Kevin öffnete den Mund, um etwas zu sagen, schloss ihn jedoch gleich wieder, als er Paulas drohendes Kopfschütteln bemerkte. »Ich kenne all die feministischen Argumente von wegen häuslicher Gewalt und der Opferrolle, in die Frauen gedrängt werden. Aber selbst in dieser Situation muss man doch kapieren, dass nichts schlimmer ist als das. Ich kann, offen gesagt, nicht verstehen, dass die sich nicht alle irgendwann umbringen.«
    »Da bist du wirklich ein bisschen zu hart, Paula«, entgegnete Kevin, als er sicher war, dass sie nichts weiter zu sagen hatte. Mit einem ächzenden Geräusch öffneten sich die Aufzugtüren. Ein paar Jungen in Kapuzenpullovern und tief sitzenden Jogginghosen latschten an ihnen vorbei und hinterließen eine Duftwolke aus Cannabis und billigem Fusel.
    »Was würdest du tun, wenn du herausfinden würdest, dass jemand deine Kinder missbraucht hat, und deine Frau hätte davon gewusst, ohne etwas dagegen zu tun?«
    Kevin verzog das Gesicht zu einer Grimasse. »Das ist eine blöde Frage, Paula, denn bei uns würde das natürlich nie passieren. Aber ich verstehe, worauf du hinauswillst. Jeder normale Mensch liebt seine Kinder und könnte sich nicht im Entferntesten vorstellen, sie zu missbrauchen. Ich bin froh, dass ich nicht in Tony Hills Haut stecke und mir mit derart kranken Gedanken das Hirn verseuchen lassen muss. Und wo wir gerade von Tony sprechen, hat irgendjemand gehört, wie es ihm geht? Mit dem Haus und all dem?«
    Paula zuckte mit den Schultern. »Ich glaube, es geht ihm dreckig. Nicht nur wegen des Hauses, sondern auch wegen der Chefin. Und natürlich macht er sich Sorgen wegen Chris.«
    »Gibt es da eigentlich Neuigkeiten?«
    »Elinor hat mir vor einer Weile eine SMS geschickt. Zustand unverändert, und je länger das so bleibt, desto größer ist die Chance, dass ein ernsthafter Lungenschaden vermieden wird.«
    Einen Augenblick schwiegen beide. Dann sagte Kevin mit leiser Stimme: »Wenn sie das Gröbste erst mal überstanden hat, bin ich mir nicht sicher, ob sie sich für die Rettung bedanken wird.«
    Darüber hatte Paula auch schon nachgedacht. »Lass das lieber«, sagte sie. »Denk nicht darüber nach. Stell dir vor, wie das erst für die Chefin sein wird.«
    »Wo ist sie überhaupt?«
    »Keine Ahnung. Ich habe das Gefühl, dass wir völlig neben der Spur sind. Aber jetzt tut sich hier endlich was«, sagte sie und deutete zum
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